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„Nachdem man Bogdan von der Bühne geholt und auf eine Polizeistation gebracht hatte, versuch-ten sie auch, ihn zu erpressen. Nein, so hätten es die Securisten nicht genannt, er bekam vielmehr ein Angebot: Nach einem Schnuppertag in der Irrenanstalt Borsa könne er eine Woche lang überlegen, ob er kooperieren möchte oder eine Internierung in der Psychiatrie wünsche. Eine Diagnose gebe es schon, hatte der Securist gesagt: Paranoia.“
Bogdan Marinescu war ein gefeierter Theaterschauspieler in Temeschwar, Rumänien, bis er Ende der 1980er-Jahre nach einer regimekritischen Hamlet-Aufführung von der Securitate verhaftet wird. Es gelingt ihm die Flucht, und er schlägt sich in mehreren westlichen Ländern so recht und schlecht durch. Zufällig trifft er 25 Jahre nach dem politischen Umsturz auf Traian Voicu, einen ehemaligen Mitarbeiter des rumänischen Sicherheitsdienstes unter Ceausescu. Dieser ist mittlerweile ein wohlhabender Produzent bei einem rumänischen Fernsehsender. Geldsorgen verleiten Bogdan dazu, sich auf ein Angebot Voicus einzulassen. Es handelt sich um die Hauptrolle in einer Art Realityshow. Mit versteckter Kamera werden an Dreh-
orten und Schauplätzen Szenen aus berühmten italienischen Filmen für das Fernsehen nachgestellt. Bogdan wird dafür durch Italien geschickt und muss in Hotelzimmern auf den nächsten Auftrag warten. Sonst weiß er nichts – weder, wo die Kameras versteckt sind, noch, wer sonst an dem Projekt beteiligt ist. Allein für Geld spielt Bogdan diese erniedrigende Rolle und ist dabei nicht nur permanent an sein früheres Leben erinnert. Angst und Misstrauen sind seine ständigen Begleiter.
Ursula Wiegele, studierte Philosophin und erfahrene Schreibpädagogin hat einen beklemmenden Roman geschrieben, der nicht nur das untergegangene System der Securitate beleuchtet, sondern höchst aktuelle Fragen aufwirft, die sich stellen sollten, wenn eine Gesellschaft sich „freiwillig“ unter permanente Überwachung stellt.
Ursula Wiegele: Was Augen hat und Ohren. Otto Müller Verlag, Salzburg 2019, 207 Seiten, € 22,–. ISBN: 9783701312665
Schwarzer Humor und ein sicherer Blick für zwischenmenschliche Bösartigkeiten kennzeichnen viele der Romane der aus Garsten stammenden Evelyn Grill, die nach Jahrzehnten in Deutschland wieder nach Oberösterreich zurückgekehrt ist. Oft nehmen ihre Geschichten eine Wendung ins Skurrile, ja Absurde.
Mit ihrem neuen Buch, das sich auf ein reales Ereignis bezieht, leuchtet sie abermals die Untiefen der menschlichen Seele aus. Es geht um einen musikalisch hochbegabten jungen Mann, der in der Gefängniszelle auf seine Verhandlung wartet und nachdenkt, warum er hier einsitzt. Es wird ihm zur Last gelegt, seine Großmutter erschlagen zu haben. Wie mit dem Seziermesser legt die Autorin Schicht für Schicht des Heranwachsens des Knaben frei. Unter dem geradezu allmächtigen Einfluss des Großvaters, der ein angesehener Mann im Dorf ist, wird „der kleine Mozart“ verhätschelt und erniedrigt. Dieses Wechselbad betrachtet der Großvater als Förderung. Auch die Großmutter, vom Ehemann verachtet, ja gehasst, opfert sich für den Jungen auf. Die Oma kommt eines Nachts gewaltsam ums Leben. Der Opa hat ein wasserdichtes Alibi. Der Verdacht fällt auf den Enkel, der in der Folge vom Großvater fallen gelassen wird.
Nahezu emotionslos und in präziser, nüch-terner Sprache seziert Evelyn Grill das Innenleben des Knaben, beschreibt, was Abhängigkeit auf der einen Seite und Missbrauch von Macht und Vertrauen auf der anderen anrichten können. So könnte es tatsächlich gewesen sein. Das lässt einen schaudern.
Evelyn Grill: Der Begabte. Residenz Verlag, St. Pölten 2019, 147 Seiten, € 20,–. ISBN: 97837017095
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