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„Ob er geschossen hat, wird man nicht mehr endgültig feststellen können. Die letzte Untersuchung der Waffe liegt zehn Jahre zurück und auch, wenn die Methoden sich seitdem verbessert haben, ist wenig mehr Erkenntnis über den Vorfall zu erwarten, weswegen man aus konservatorischen Gründen eine neuerliche Analyse ausgeschlossen hat. Die Wallfahrt zum Revolver Christi hat zehn Jahre nach der letzten öffentlichen Schau schon in den ersten drei Wochen alle Besucherrekorde gebrochen. Mehr als hunderttausend Pilger sind bereits zum Schrein in der Kathedrale gezogen, die Hotels der Stadt sind auf Wochen ausgebucht.“ Mit dieser nüchternen Schilderung beginnt die mit dem Debütpreis des Österreichischen Buchpreises 2021 ausgezeichnete Novelle mit dem skurril anmutenden Titel „Der Revolver Christi“ der in Wien lebenden Autorin, die u. a. Katholische Theologie studiert hat. Es ist der 17. Juli 2018, 12.07 Uhr, der 23. Ausstellungstag der seit 110 Jahren alle zehn Jahre stattfindenden Schau, als im Dom wieder ein Schuss fällt. Diesmal geht lediglich die mit allen Mitteln modernen Marketings konstruierte Vitrine eindrucksvoll zu Bruch. Personen kommen vorerst nicht zu Schaden und den Revolver gibt es plötzlich doppelt. Doch in der Folge häufen sich die Mysterien und Rätsel für den ermittelnden Beamten wie für die Leserschaft. Es wird ernst mit Themen wie der Inszenierung des Metaphysischen oder mit der Frage, ob christlicher Glaube und Gewalt überhaupt zusammenzubringen seien und wenn ja, wie. Eine sachlich wie sprachlich hervorragende Erzählung, die Fragen aufwirft, nichts erklärt, aber realistisch und nachvollziehbar darstellt. Könnte allerdings genauso sein, dass die Autorin sich höchst elegant lustig macht über so manche Absonderlichkeiten und Abstrusitäten, die zur Religion auch immer schon dazugehören.
Anna Albinus: Der Revolver Christi. Novelle. edition.fotoTAPETA, Berlin 2021, 80 S., € 15,50, ISBN 978-3-949262-02-9
Durch eine Fernsehsendung über ehemalige „Lebensborn“-Kinder hat der in Innsbruck lebende Schriftsteller einen mittlerweile pensionierten Schauspieler kennengelernt, dessen schwangere Mutter während des 2. Weltkriegs von Kirkenes im Norden Norwegens nach Hohenems in Vorarlberg gebracht wurde. Dort wurde der Sohn eines deutschen Wehrmachtssoldaten geboren. Doch die Verhältnisse entwickelten sich anders als vorgestellt. Die Norwegerin wird von der Familie des Mannes nicht willkommen geheißen, sondern abgewiesen. Der Vater verleugnet sogar seinen Sohn und behauptet, er sei das Kind eines Russen. Das Kind Heinz kommt wegen der Krankheit der Mutter, Epilepsie, in ein Heim. Die Frau muss trotz allem in Österreich bleiben, denn in ihrer ehemaligen Heimat gilt sie als verfemte Nazikollaborateurin. Sie heiratet später, bekommt weitere Kinder und nimmt Heinz zu sich. Seinen leiblichen Vater lernt er erst im Alter von 60 Jahren kennen. Hotschnig entwickelt den Roman aus wenigen gesicherten Fakten über die Lebensgeschichte des Heinz Fitz und mit Hilfe eines Historikers. „Ich fantasiere, ich muss fantasieren, aber es ist möglich, sonst wäre es auch kein Roman.“ Es sei nicht seine Intention gewesen, eine Biografie nacherzählen zu wollen, sagt Hotschnig. „Ich wollte eine Geschichte auf Basis von Heinz‘ Biografie erzählen, die zentrale Themen und Aspekte der Menschen, die zur damaligen Zeit in Vorarlberg gelebt haben, beinhaltet.“ Das ist gut gelungen. Geworden ist daraus eine sehr berührende Lebensgeschichte, die von 1942 bis über den Tod der Mutter hinaus reicht. Dass Hotschnig seinen Protagonisten im Roman als Ich-Erzähler einsetzt, ist ein Kunstgriff, der der Geschichte zusätzlich Glaubwürdigkeit verleiht.
Alois Hotschnig: Der Silberfuchs meiner Mutter. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, 219 S., € 20,60, ISBN 978-3-462-00213-3
Das Vergehen der Zeit, die Rolle des Menschen darin und der Wert der Erinnerung, das sind die Themen in der Erzählung des Autors und Historikers Peter Karoshi. Theo, der Protagonist der Geschichte, ist ein 40-jähriger Kulturwissenschafter in einer persönlichen Krise. Einsam und unzufrieden zweifelt er an sich selber und seiner Wissenschaft, aber auch an der Beziehung zu seiner Frau Anna. Er will Klarheit in sein Leben bringen und meint, auf einer gemeinsamen Reise mit seinem neunjährigen Sohn Moritz könnte ihm das gelingen. Für die Reiseroute wählt er eine historische Vorlage aus. 1551/52 brachte der spätere Kaiser Maximilian II. einen Elefanten – Soliman – von Spanien nach Wien. Bis heute erinnern nach dem Elefanten benannte Gasthöfe auf der Strecke an dieses Ereignis. Von einem solchen Gasthof zum nächsten will Theo mit seinem Sohn von der Salzburger Provinz bis nach Genua gehen – in umgekehrter Richtung also. Die Reiseerfahrungen hält er in einem Tagebuch fest. „Schreibe ich das alles, um mehr Ordnung zu schaffen, nicht nur in der Reise, sondern in meinem ganzen Leben?“ Von Tag zu Tag nimmt die Reise mehr alptraumhafte Züge an. Den Protagonisten selbst erinnert sein Tun an den „Walkabout, den Alleingang des erwachsenen Mannes unter den Aborigenes entlang von sogenannten Traumpfaden in der heimatlichen Landschaft Australiens“. Nach drei Wochen ist Theo ein alter Mann und um einige Erfahrungen reicher. Ob mehr Ordnung in seinem Leben ist, kann vielleicht ein Leser beurteilen. Das Buch wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Peter Karoshi: Zu den Elefanten. Leykam Verlag, Graz 2021, 206 S., € 20,–. ISBN 978-3-7011-8187-2
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