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Vera, die Protagonistin in diesem Roman, ist vom Japanischen fasziniert. Sie lässt sich von Tante Rosa einen Kimono schneidern und fängt an, die Sprache zu lernen. Das, wie auch eine selbsterfundene Geheimsprache, dient ihr als Fluchtort in der Fantasie. Es hilft, ihre inneren Kräfte zu stärken, denn die braucht sie dringend. Die 14-Jährige hat eine traumatisierende Erfahrung zu verarbeiten und muss sich in einer neuen Umgebung, einer neuen Sprache und mit bisher unkannten Menschen zurechtfinden. Das große Erdbeben im Mai 1976 in der Region Friaul-Julisch Venetien hat die Familie obdachlos gemacht. Vera wird zu Verwandten nach Kärnten geschickt, während ihre Eltern und die Großmutter im zerstörten Pontebba bleiben. Großonkel Hans war bereits 1940 als sogenannter Optant vom Kanaltal nach Kärnten übersiedelt, hört aber nie auf, die Italiener zu hassen, was er lautstark und ungefragt auch Vera gegenüber zum Ausdruck bringt, indem er sie etwa als Mischung aus deutscher und romanischer „Rasse“ (ab)qualifiziert. Doch vielleicht sogar dadurch fördert er das Interesse des Mädchens an der Familiengeschichte. Bei einem Besuch im Kanaltal stöbert sie in alten Briefen, stellt Fragen und so kommt dann ein über die Jahrzehnte gut gehütetes Familiengeheimnis ans Licht und verursacht eine andere Art von Beben. Die Kärntner Autorin erzählt die Geschichte aus der Perspektive der 14-jährigen Vera einfühlsam und mit starken Bildern. Berührend etwa, wie sie Veras Erfahrungen mit der „Großmuttersprache“ Deutsch in der Kärntner Schule beschreibt. Gekonnt verwebt sie die persönliche Familiengeschichte des Mädchens mit der politischen Geschichte des Alpen-Adria-Raums und rückt damit ein Stück Zeitgeschichte in den Fokus der Aufmerksamkeit, das über Kärnten hinaus vielfach vergessen wurde. Das titelgebende „Arigato“ benennt übrigens in Japan eine ungezwungene Art, Danke zu sagen.
Ursula Wiegele: Arigato. Otto Müller, Salzburg 2020, 195 Seiten, € 22,40.
ISBN 9783701312801
Mona leidet unter der Sprachlosigkeit, die sich zwischen ihr und ihrem Vater über die Jahre breitgemacht hat. Weil ein direktes Gespräch nicht möglich scheint, bittet sie den kranken, alten Mann, ihr das Wichtigste auf ein Diktiergerät zu sprechen. Heraus kommen nicht mehr als 47 Minuten Erinnerung, die Mona künftig mit sich herumträgt und dazu ihre eigenen Fragen formuliert, die sie ebenfalls aufnimmt. Die entbehrungsreiche, harte Kindheit des Vaters, Monas Leben als Dolmetscherin mit ihrer halbwüchsigen Tochter und der Trennung vom Ehemann, ihr Engagement für einen geflüchteten Künstler aus Syrien verbinden sich so zu einer Familiengeschichte über vier Generationen. Der Schweizer Autor Andreas Neeser erzählt sie aus verschiedenen Perspektiven in einer einfachen, genauen Sprache, die ganz viel zwischen den Zeilen lesen lässt. Ein Buch, das unaufdringlich, aber umso eindrucksvoller aufzeigt, wie Menschen zu dem werden, was sie sind. Was verbindet Töchter und Söhne mit ihren Eltern, was trennt sie? Wie gehen emotionale Nähe und Unabhängigkeit zusammen? Wie viel müssen wir voneinander wissen, um uns verbunden zu fühlen? Welche Art von Kommunikation schafft Nähe? Welche vergrößert die Distanz? Und wie sehr ist das alles vom kulturellen Umfeld bestimmt? Solche und ähnliche Fragen wirft die Lektüre dieses Romans auf. Eine berührende, nachdenklich machende Geschichte.
Andreas Neeser: Wie wir gehen. Haymon Verl., Innsbruck – Wien 2020, 213 Seiten, € 17,90. ISBN 9783709934852
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