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Die Filme des österreichischen Dokumentarfilmers Nikolaus Geyrhalter, der nunmehr seit 25 Jahren aktiv ist, stehen in einem stetigen Dialog miteinander. So kann auch sein neuer Film „Erde“ im Zusammenhang mit „Unser täglich Brot“ (2005) und „Homo Sapiens“ (2016) gesehen werden. Für ersteren Film hat Geyrhalter in verschiedenen Betrieben in Europa die industrielle Nahrungsmittelproduktion in den Fokus gerückt. In „Homo Sapiens“ zeigt er uns unkommentiert die Erde ohne Menschen, oder besser gesagt, das, was von den menschlichen Eingriffen in die Landschaft übrig geblieben ist: Ruinen und verfallende Bauten.
„Erde“ ist gewissermaßen in einem zeitlichen Davor situiert, wie der Mensch mit Unterstützung von überdimensionalen Maschinen die Erdoberfläche aufreißt und das Innere aushöhlt. Es ist die Visualisierung dessen, was in der Geologie aktuell unter dem Begriff Anthropozän zusammengefasst wird und die durch den Menschen verursachten Eingriffe in die Natur bezeichnet, die irreversibel sind.
Wie immer benötigte Geyrhalter eine lange Vorbereitungszeit, um die Locations auszuwählen und Drehgenehmigungen zu bekommen. Der Film führt an sieben Orte, die in jeweils 15-minütigen Episoden mit einer Luftaufnahme eingeleitet werden, die das ganze Ausmaß der Oberflächenbeschädigung visualisiert. Im San Fernando Valley in Kalifornien werden ganze Berge abgetragen, um Bauland für Wohnungen und Unternehmen zu schaffen. Am Brenner wird der Berg ausgehöhlt, um die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt zu schaffen. Weiter führt der Weg bis ins deutsche Wolfenbüttel in ein stillgelegtes Salzbergwerk, wo der Berg nicht angebohrt, sondern mit Atommüll gestopft wird.
In ästhetisch ansprechenden Tableaus präsentiert Geyrhalter, der auch wieder für die Kamera verantwortlich ist, die gigantischen Gerätschaften, die das jeweilige Terrain beackern und die von diesen malträtierte Landschaft. Zwischen diese Einstellungen blendet er frontal Arbeiter/innen aus den Betrieben ein und lässt diese zu Wort kommen. Deren Statements belegen das hohe Reflexionsniveau der in den Arbeitsprozess Involvierten, die einerseits von ihrer Tätigkeit begeistert, sich gleichzeitig aber der Folgen ihres Tuns bewusst sind. Neben Fortschrittsgläubigkeit („Es gibt immer eine größere Maschine, und wenn die nicht funktioniert, gibt es immer noch Dynamit. Wir werden immer gewinnen.“) überwiegt aber doch die Einsicht, dass Grenzen überschritten würden („Die Ressourcen sind begrenzt. Entweder wir ändern uns oder wir sinken.“).
Geyrhalter vermeidet eine Bloßstellung der Arbeiter. Vielmehr ist sein Film eine präzise Studie moderner Arbeitsprozesse, die nur im Teamwork funktionieren. Immer wieder wird betont, dass unser aller Fortschritt auf der Ausbeutung der Erde basiert, und dass diese Haltung ein Akt der Gewalt ist. Es gebe keine Grenzen, wie einer der Beteiligten meint.
Daran will Geyrhalter dann noch nicht glauben, wie die letzte in Alberta/Kanada gedrehte Episode vermittelt. Da er keine Drehgenehmigung in der Anlage zur Schieferölgewinnung bekommen hat, kommen hier keine Arbeiter zu Wort, sondern zwei Vertreter der indigenen Bevölkerung, deren Land man okkupiert hat. Die Bagger aus der ersten Phase des Ölsandabbaus verrotten, von Bäumen überwuchert. Die Wildnis holt sich zurück, was man ihr genommen hat, auch wenn dies ein langer Prozess ist. Ein schwacher Trost am Ende eines beeindruckenden Films.
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