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Über die Medienberichterstattung stieß der französische Regisseur zufällig auf den „Fall Preynat“, dabei ging es um einen Priester in der Diözese Lyon, der zwischen 1970 und 1991 vermutlich mindestens 70 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht hat. Erst 2016 wurde Preynat angeklagt und am 4. Juli 2019 für schuldig befunden. Ebenfalls verurteilt wurde im März 2019 Kardinal Barbarin, und zwar wegen Nichtanzeige der Missbrauchsfälle. Die ganze Angelegenheit wurde von einem Opfer von Preynat ins Rollen gebracht, das per Zufall 2014 erfahren hat, dass Preynat noch immer mit Kindern arbeitet. Der Mann (in Ozons Film heißt er Alexandre Guérin, die Namen der Opfer hat der Regisseur geändert) wendet sich an die Kirche, doch diese verschleppt die Sache mit einer geschickten Verzögerungstaktik, sodass sich Alexandre genötigt sieht, Strafanzeige zu erstatten. Das löst wiederum eine Lawine aus, weil sich in der Folge immer mehr Opfer melden, die sich dann in der Selbsthilfegruppe „Das gebrochene Schweigen“ organisieren, um damit Druck auf die Öffentlichkeit und die Kirche auszuüben. Über die Website dieser Gruppe kommt Ozon in Kontakt mit Alexandre und plant schließlich einen Dokumentarfilm, von dem ihn aber die Opfer wieder abbringen, weil ohnehin schon viele Beiträge im TV gesendet wurden. Die Umsetzung in einem Spielfilm würde mehr Emotionalität hervorrufen. „Gelobt sei Gott“ („Grâce à Dieu“ – der Originaltitel wäre genauer übersetzt mit „Gott sei Dank“) spielt auf eine Feststellung von Kardinal Barbarin 2016 auf einer Pressekonferenz an, mit der er darauf hingewiesen hat, dass die Missbrauchstaten verjährt seien.
Der Fokus des Films liegt auf drei Protagonisten, die nach und nach eingeführt werden. Das ist ungewöhnlich, ermöglicht aber, die unterschiedlichen Auswirkungen des Missbrauchs in Variationen zu thematisieren. Während der eher ruhig agierende Alexandre (Melvil Poupaud) seinen Glauben trotz der traumatisierenden Vorfälle nicht verloren hat, handelt der impulsive Atheist François (Denis Ménochet) kämpferisch und oft unüberlegt. Emmanuel (Swann Arlaud) ist dagegen sozial nicht so abgesichert, ist sensibel, aber auch wütend und leidet an epileptischen Anfällen. Ozon zeigt die unterschiedlichen Facetten der Traumatisierung, wobei vor allem das erste Drittel des Films überzeugend ausgefallen ist. Durch den Einsatz von Originaldokumenten bekommt die Erzählung einen dokumentarischen Gestus, dem man sich nicht entziehen kann. Der Part mit François als aktiver Figur ist konventioneller ausgefallen, entspricht eher einer klassischen Aufklärungsdramaturgie. Das letzte Drittel mit Emmanuel im Zentrum des Geschehens ist dagegen fast melodramatisch gehalten, bewegt sich diese Figur doch emotional ständig entlang eines Abgrunds. – Die Kritik an der Institution der katholischen Kirche ist durchaus differenziert ausgefallen. Preynat gibt seine Taten zu, bezeichnet das eigene Verhalten als „Krankheit“, wird aber erst 2015 seines Amtes als Priester enthoben, nachdem die Öffentlichkeit davon erfahren hat. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen die Vertuschungspraktiken und den Protektionismus, was Ozon vor allem über eine Dialogführung vermittelt, in der die Sprache der Mächtigen sich als probates Mittel für Ausweichmanöver erweist: „Im etymologischen Sinne heißt pädophil: Kinder liebend. Und Gott sagt, wir sollen Kinder lieben. Natürlich nicht zu sehr.“ – Der Nachsatz von Kardinal Barbarin ist die entwaffnende Pointe, mit der er sich gewollt oder ungewollt bloßstellt. «
Einführung und Diskussion am Freitag, 18. 10. um 20.30 Uhr im Moviemento, mit Markus Vorauer
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