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Anton Bruckner hat sich vor allem als Schöpfer von Symphonien verstanden. Insofern ist es richtig, wenn die Rede vom „Musikanten Gottes“ relativiert wird. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Bruckner als Kirchenmusiker angefangen hat. Insofern ist es kein Wunder, dass sein Œuvre viele geistliche Werke enthält, darunter seine Messen.
Mit „Messe“ ist die Vertonung von Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei gemeint. Dazuzählen kann man auch die spezielle Form des Requiems (Messe für Verstorbene). Spricht man von Bruckners Messen, ist meist von den drei großen Messen in d-, e- und f-Moll die Rede. Das Bruckner-Werkverzeichnis kennt aber neben dem Requiem acht Messen bzw. Messfragmente.
Bruckners ganz frühe Messen sind Werke des damaligen Lehrers bzw. Lehrergehilfen, der auch für die Kirchenmusik verantwortlich war. Da war er nicht allein, auch sein Cousin und Lehrerkollege Johann Baptist Weiß schrieb Messen und Requien. Bruckners Frühwerke lassen wenig bis gar nichts vom späteren Bruckner-Stil erkennen, sondern orientieren sich unter anderem an Vorbildern aus der Zeit der Wiener Klassik, zum Beispiel Mozart und Joseph Haydn.
Das bekannteste Frühwerk ist die Windhaager Messe, die um 1842 in Windhaag bei Freistadt entstand. Die liturgischen Texte sind gekürzt: weder Jesus Christus noch der Heilige Geist kommen im Credo direkt vor. Ein Mitvollzug der Liturgie wurde einst von den Messbesucher:innen nicht erwartet: Für die Gültigkeit war lediglich erforderlich, dass der Priester den vollständigen Text betete.
Die Windhaager Messe baut auf Bruckners Unterricht bei seinem Cousin Johann Baptist Weiß und später an der Lehrerbildungsanstalt bei Johann August Dürrnberger auf.
Die nächste Station auf Bruckners Weg war Kronstorf, sein damaliger musikalischer Lehrer war der in Enns lebende Leopold von Zenetti. Zu den Werken dieser Zeit gehört die Kronstorfer Messe (1844). Sie hat kein Gloria, was darauf hindeutet, dass sie für die Fastenzeit komponiert wurde. Das Credo ist zwar geplant, aber nicht ausgeführt.
Ebenfalls unfertig geblieben ist die „Messe für den Gründonnerstag in F‑Dur“ (Choralmesse „Christus factus est“), in der das Sanctus der Kronstorfer Messe leicht verändert wiederverwendet wird. Nur eine Skizze haben wir von der „Missa pro Quadragesima“. Unklar ist hier, ob sie noch in Kronstorf oder schon in St. Florian entstand.
Das Requiem von 1849 ist eindeutig in St. Florian angesiedelt, wo Bruckner bei Stiftsorganist Anton Kattinger lernte. Anlass für das Werk war das Ableben des Gerichtsbeamten Franz Sailer. Dieser förderte Bruckners Entwicklung noch über den Tod hinaus: Er vermachte ihm sein Klavier, ein Instrument, das sich Bruckner damals nicht hätte leisten können. Es begleitete ihn sein Leben lang, alle großen Werke sind auf diesem Instrument entstanden. Das Requiem erklang zu Sailers erstem Todestag 1849 in St. Florian. Dass es noch im selben Jahr auch in Kremsmünster zu hören war, zeugt von Bruckners beginnender Bekanntheit.
Den krönenden Abschluss von Bruckners frühen Messkompositionen bildet die „Missa solemnis“. Erstmals wurde sie bei einem Festgottesdienst 1854 im Stift St. Florian gespielt. „In Bruckners ‚Missa solemnis in B‘ sind all jene Stilkriterien zu finden, die zusammenfassend seine künstlerische Entwicklung, beginnend von seiner Zeit als Hilfslehrer bis zu seiner Berufung als Domorganist zu Linz, dokumentieren“, schreibt Bruckners aktueller Nachfolger am Linzer Dom, Wolfgang Kreuzhuber. Er hat den „notwendigen künstlerischen Entwicklungsprozess“ der frühen Schaffensperiode analysiert.
Der Wechsel nach Linz sowie die weitere Ausbildung bei Simon Sechter und Otto Kitzler führten zu einer Zäsur in Bruckners Arbeit: Jetzt folgten die „großen“ Messen in d-, e- und f-Moll. Mit der Messe in d-Moll setzte Bruckner selbst den Beginn seiner Tätigkeit als fertig ausgebildeter Komponist an.
Die Messe in d-Moll wurde 1864 im damaligen Linzer Dom (heute Ignatiuskirche) erstmals im Gottesdienst gespielt. Sie wurde kurz darauf im Redoutensaal außerhalb der Liturgie wiederholt. Mit dieser Messe machte Bruckner in Wien auf sich aufmerksam.
Die Messe in e-Moll komponierte Bruckner für die Einweihung der Votivkapelle des neuen Linzer Domes 1869. Das Werk ist dem Linzer Bischof Franz Joseph Rudigier gewidmet. Bruckner hatte es bereits 1866 abgeschlossen, doch der Weihetermin verzögerte sich. So kam es, dass der bereits in Wien lebende Komponist nach Linz zurückfuhr, um zu dirigieren.
Die Messe in f-Moll ist noch mehr ein Werk des Ortswechsels: 1867/68 in Linz komponiert, erklang sie erstmals 1872 in Wien. Mit ihr schloss Bruckner seine Messen ab, ein geplantes weiteres Requiem kam nicht mehr zustande.
Als Komponist, der sich nach eigenen Worten „von der Kette [der strengen Ausbildung, Anm.] losgerissen“ hatte, musste sich Bruckner bei den großen Messen die Frage stellen, wie er es mit dem Cäcilianismus halten wollte. So wird eine Restaurationsbewegung bezeichnet, die einen puristischen, entweltlichten Stil in der Kirchenmusik einmahnte, dessen Vorbilder der Gregorianische Choral und Giovanni Pierluigi da Palestrina waren: Stark vergröbert ging es um vielstimmigen Gesang mit vorzugsweise sparsamer oder keiner instrumentalen Begleitung.
Um es vorwegzunehmen: Bruckner ist kein Cäcilianer geworden, auch wenn er gelegentlich Anleihen nahm. Nicht allein, dass zwei der letzten drei Messen auf großen Orchestereinsatz bauen, hat er mit Blick auf den liturgischen Text in der Musik dramatische Betonungen des Inhalts vorgenommen.
Als Komponist von Messen kam Bruckner den Cäcilianern am ehesten mit jener in e-Moll entgegen. Sie ist für achtstimmigen Chor und nur 15 Bläser geschrieben. Gemeinhin wurde diese Besetzung mit der Aufführung unter freiem Himmel begründet, allerdings wird auch mit einer künstlerischen Entscheidung argumentiert.
Jedenfalls gelang es Bruckner, alte und neue kompositorische Zugänge zusammenzubringen. Bruckner trat den Beweis an, dass er zwar entsprechend den cäcilianischen Vorstellungen komponieren kann, aber einen eigenständigen Weg gehen will, ja sogar muss, wie er selbst sagte: „Die wollen, dass ich anders schreibe. Ich könnt’s ja auch, aber ich darf nicht. Unter Tausenden hat mich Gott begnadigt und dies Talent mir, gerade mir gegeben. Ihm muss ich einmal Rechenschaft ablegen. Wie stünde ich dann vor meinem Herrgott da, wenn ich den anderen folgte und nicht ihm!“
Eine unterhaltsame Geschichte über Anton Bruckner hat der Pädagoge und Heimatforscher Kurt Lettner in der 1922 entstandenen Familienchronik des 1864 geborenen Lehrers Ludwig Commenda gefunden: Dieser hatte Bruckner zu Weihnachten 1881 oder 1882 in St. Florian beim Eisstockschießen an einem Teich kennengelernt.
Bruckner stand demnach während des Schießens plötzlich ratlos da, denn „ein Schuss eines Gymnasiasten hatte seinen Eisstock getroffen und bis an den Rand des Teiches getrieben“, schreibt Commenda und fährt fort: „So stand Bruckner und blickte sehnsüchtig nach dem entschwundenen Stock, den er nun gegen einen Ersatzstock hätte austauschen müssen. Ich bemerkte die Verlegenheit des außer Gefecht gesetzten Schützen und trotz der ängstlichen Warnrufe Bruckners wagte ich es, den verschossenen Stock von der gefährlichen Stelle zu holen – und es gelang. In seiner freundlichen, fast kindlichen Art überschüttete der glückliche Schütze mich mit Dankesworten, womit er nun sein Instrument hatte. Ich glaube aber, das Ansehen des Meisters der Töne nicht zu schmälern, wenn ich verrate, dass er als Eisschütze weniger Treffsicherheit bekundete denn als Meister an der Orgel.“
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