Sozialratgeber
Download hier >> oder Sozialratgeber KOSTENLOS bestellen unter office@kirchenzeitung.at oder telefonisch: 0732 / 7610 3944.
Die große Krise ist zum Glück ausgeblieben, sagt Karin Abram von der Caritas Österreich. Dass die 24-Stunden-Betreuung von 30.000 pflegebedürftigen Menschen in Österreich nicht zusammengebrochen ist, ist vor allem auf die Einsatzbereitschaft und Flexibilät der Betreuerinnen zurückzuführen. Mitte März wurden die Grenzen geschlossen, sodass die Betreuerinnen nicht wie üblich nach 14 Tagen ihren Dienst an eine Kollegin übergeben und heimfahren konnten, erinnert Sr. Franziska Madl, Priorin des Wiener Dominikanerinnenkonvents, der seit zehn Jahren 24-Stunden-Betreuerinnen beschäftigt. Dann kam die Zeit der staatlichen Quarantäne. Wenn eine der Betreuerinnen nachhause in die Slowakei fahren wollte und Pech hatte, wurde sie in ein Mehrbettzimmer irgendeines alten Studentenheims gebracht und musste dort bis zu zwei Wochen verbringen.
„Während der zwei Wochen in Österreich gehe ich selten aus dem Haus, nur in die Apotheke oder so. Ich komme kaum unter Leute“, schildert die Betreuerin Eva Biroová. „Trotzdem musste ich zuhause noch in Quarantäne.“ Sie hatte Glück im Unglück, weil sie die Quarantäne in ihrer eigenen Wohnung verbringen konnte. Schließlich kam die Zeit der Tests. Mit aktuellem, negativem Corona-Test konnten die Betreuerinnen nun den Dienst wechseln. Allerdings: Jeder Test kostete etwa 180 Euro. Wieder hatte Eva Biroová Glück, weil die Dominikanerinnen diese Kosten bezahlten, aber viele private Haushalte konnten das nicht und die Betreuerinnen blieben auf den Kosten sitzen.
Rund um die Tests gab es weitere Hürden: Wie kam man zu einem Test? Viele Vermittlungsagenturen empfahlen den Betreuerinnen, im Internet danach zu suchen. Doch was, wenn eine 24-Stunden-Betreuerin keinen Internetzugang hat? Oder wenn ihre Deutschkenntnisse zwar für den Austausch mit der pflegebedürftigen Person geeignet sind, nicht jedoch für die Interpretation der per Mail zugesandten Test-
ergebnisse? Viele solcher Probleme erlebte die Pastoralassistentin, Altenheimseelsorgerin und Seelsorgerin für 24-Stunden-Betreuerinnen Monika Jusufi aus Linz. Sie half, wo sie konnte, obwohl sie als Seelsorgerin nicht wirklich für die Organisation von Corona-Tests zuständig ist.
Es fehlt an Ansprechpartnern für 24-Stunden-Betreuerinnen und -Betreuer (etwa jede zehnte Betreuungsperson ist männlich). Die Vermittlungsagenturen erklären sich für vieles nicht zuständig, weil die Personenbetreuerinnen offiziell selbständige Ein-Personen-Unternehmen sind. Doch gleichzeitig sind sie von der Vermittlung abhängig. Wie viel die einzelne Betreuerin verdient, macht meist die Agentur mit den Kund/innen in Österreich aus, manchmal läuft sogar die Überweisung des Geldes über die Agentur.
Etwa 75 Euro bekommt eine Betreuungsperson pro Tag. Meist hat sie nachmittags zwei Stunden zur freien Verfügung, manchen wird auch das nicht zugestanden. Der Nachtdienst verläuft oft unruhig. Egal, wie die Nacht verlaufen ist, geht der Dienst am Morgen weiter. 75 Euro Tagsatz ergibt bei 22 Stunden Tagesarbeitszeit 3,40 Euro Stundenlohn – brutto. Steuern zahlen die Betreuer davon entweder im Heimatland oder in Österreich. Viele verdienen so wenig, dass keine Steuern anfallen. Ihr Einkommen entspricht einem Monatsbruttolohn von etwa 975 Euro (bei in Österreich sonst üblichen 14 Gehältern pro Jahr). Davon zahlen sie eine Gebühr an die Vermittlungsagentur zuhause und Sozialversicherung. Das ist ein Fortschritt, denn bis Ende 2006 waren die Personenbetreuerinnen weder pensions- noch kranken- oder unfallversichert in Österreich. „Ich würde diesen Job nicht schaffen“, gibt eine Agentur-Mitarbeiterin freimütig zu, die sich sehr für Personenbetreuerinnen einsetzt und ihre Situation kennt.
Dass diese Betreuungsform auf der ungleichen Einkommenssituation innerhalb Europas beruht, ist Sr. Franziska Madl bewusst. „Das System ist nicht gut, so wie es ist. Momentan ist es aber eine Win-win-Situation. Unsere Betreuerinnen hätten zuhause keinen Arbeitsplatz, und wir wüssten ohne sie nicht, wer die alten Mitschwestern betreuen soll. Wie es mit der Pflege weitergeht, weiß ich nicht.“ Sie gibt zu bedenken, dass viele alte Menschen von Angehörigen gepflegt wurden und werden, „und niemand fragt, wie es der Hausfrau damit geht“. Das sei auch nicht wünschenswert. Eva Biroová bestätigt: „Bei uns in der Südslowakei gibt es nicht einmal für junge Menschen genug Arbeitsplätze, und schon gar nicht für ältere.“ Sie ist dankbar für die Einkommensmöglichkeit – und glücklich im Kontakt mit alten Menschen.
Seelsorgerin Monika Jusufi kommt ursprünglich selbst aus der Slowakei und kennt beide Seiten sehr gut. Sie glaubt nicht, dass sich die nächste Generation noch auf diesen Handel einlassen wird. Einerseits, weil sich der Arbeitsmarkt ändert, andererseits ändert sich die Mentalität. „Dienen um billiges Geld ohne Wertschätzung – das werden sich die Jüngeren nicht mehr antun“, meint sie. Die fehlende Wertschätzung äußert sich auf verschiedene Weise. „Wer kümmert sich zuhause um die Kinder? Diese Frage stellen wir hier nicht, damit wir kein schlechtes Gewissen haben müssen.“ Dass die Betreuer und Betreuerinnen zwischen zwei Familien stehen, sei eine hochemotionale Angelegenheit. Wenn sie zwei oder drei Jahre lang eine Person oder ein Ehepaar begleiten, bedeutet deren Tod einen großen Abschied, der nie verarbeitet wird. Um weiter zu verdienen, wechseln sie ohne Pause zur nächsten Familie. „Das Unaufgearbeitete bleibt aber stecken und kommt irgendwann hoch“, weiß die Seelsorgerin aus Erfahrung.
Das größte Problem für die Frauen und Männer ist, wenn sie respektlos behandelt werden. „Eine Betreuerin hat ihrem Kunden die Haare geschnitten, obwohl das nicht zu ihren Pflichten gehört. Er wollte sparen, sie wollte helfen. Dabei hat sie die Haare zu kurz geschnitten und wurde von der Tochter des Herrn wüst beschimpft, dass das strafbar sei.“ Die Auffassung, dass die Betreuerin Hauspersonal sei, ist leider verbreitet.
Die Tränen, weil die Betreuerin weder Ostern noch Muttertag mit ihrer Familie feiern konnte, die Trauer nach dem Tod der eigenen Schwester, die Sorge um den verschuldeten Sohn – mit ihren Nöten bleiben die Betreuerinnen in Österreich oft allein. „Da könnte sich auch die Kirche an der Nase nehmen“, meint Monika Jusufi. Denn dass sich die Betreuerinnen untereinander vernetzen und treffen sei schön, was aber fehlt, sei echte Begleitung wie Supervision oder Seelsorge. Mehr Pfarren könnten den Frauen zeigen: „Wir sehen euch!“«
Pflegereform in der Warteschleife
Bereits im Jänner präsentierte die türkis-grüne Regierung eine Pflegereform als erstes Vorhaben. Ohne Gegenmaßnahmen steuert die Gesellschaft auf eine „Pflegekatastrophe“ zu.
Eine Pflegeversicherung enthält das geplante Pflege-Reformpaket ebenso wie einen „Pflege-daheim-Bonus“. Die Schlüsselfrage ist aber: Wie kann man mehr Menschen dazu motivieren, einen Pflegeberuf auszuüben? In den kommenden zehn Jahren werden 75.000 neue Pflegekräfte gebraucht. Eine Pensionierungswelle von Pflegekräften wird den Fachkräftemangel verschärfen, während es immer mehr Über-85-Jährige geben wird, wie eine Ende 2019 veröffentlichte Studie der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ergab.
Neue Schulen. Mehr als die Hälfte der pflegebedürftigen Menschen in Österreich wird von Angehörigen gepflegt. Dieser Anteil sinkt. Dem Fachkräftemangel begegnet ein neues Schulmodell, das in fünf Schuljahren Berufsausbildung und Matura ermöglicht. Sechs Schulversuche starten im Herbst, vier davon werden von der Caritas betrieben, informiert Karin Abram von der Caritas Österreich. Die Coronakrise stoppte den Reformprozess, im Herbst soll er weitergehen.
Sozialratgeber
Download hier >> oder Sozialratgeber KOSTENLOS bestellen unter office@kirchenzeitung.at oder telefonisch: 0732 / 7610 3944.
Erfahrungen aus dem Alltag mit einem autistischen Jungen >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>