Von einem „grausigen Fund“ wusste die Linzer Tages-Post am 11. Juni 1921 zu berichten: „Ein Arbeiter stieß (am 7. Juni) beim Torfstechen auf eine Hand. Er grub vorsichtig weiter und entdeckte eine Leiche, die nicht verwest, sondern vertorft war. Über der Leiche lag eine etwa ein Meter hohe Schicht Torf. Die Muskulatur war verflüchtigt. Die Haut sah aus wie Leder. Es ist eine förmliche Gerbung vor sich gegangen, da bekanntlich Torf zum größten Teil Gerbstoffe enthält. An der Leiche war ein etwa 90 Zentimeter langer, blonder Haarzopf.“
100 Jahre später im Depot des OÖ. Landesmuseums: Jutta Leskovar, Sammlungsleiterin für Ur- und Frühgeschichte, legt eine Schachtel auf den Tisch und öffnet sie. Zu sehen ist ein gewaschener und sauber geflochtener Haarzopf. Er soll zu der 1921 gefunden Leiche gehören, kam aber erst Ende der 1950er Jahre ins Museum. Denn 1921 machte man nicht viel Aufhebens um die Leiche und ihre Kleidung: Der beauftragte Gemeindearzt führte eine Obduktion durch und hielt unter anderem fest, dass die 25 bis 30 Jahre alte Frau wahrscheinlich an zwei Stichen in den Brustkorb gestorben war und dass sich in ihrem Magen viele Zwetschenkerne befanden. Der Leichnam wurde am ungeweihten Teil des Windischgarstner Friedhofs beerdigt. Da damals niemand aktuell abgängig war, hatte man offenbar andere Sorgen, als sich mit der unbekannten Leiche zu beschäftigen.
36 Jahre später, im September 1957, wurde man aufgrund der Nachforschungen des Lehrers Rudolf Kusché doch neugierig und schritt zur Exhumierung. Viel war es aber nicht mehr, was die Forscher zutage förderten: ein paar Knochenreste und Zwetschkenkerne. Immerhin führten die Nachforschungen dazu, dass aus dem Kreis der Bevölkerung ein Zopf auftauchte: Vermutlich war er der Frau vor der Beerdigung abgenommen worden. Einen hundertprozentigen Beweis, dass der Zopf zur Leiche gehörte, gibt es nicht.
Wer war diese Frau? War sie zur Zeit des Pyhrnbahnbaus Anfang des 20. Jahrhunderts ermordet worden, als das Garstnertal von vielen fremdsprachigen Bauarbeitern und ihren Familien aus allen Teilen der Monarchie bevölkert wurde, wie man bei der Auffindung vermutete? Oder war sie, wie die überlieferte Beschreibung ihrer Kleidung vermuten lässt, eine Tote aus der Urzeit, vielleicht aus der Bronzezeit, etwa 3000 bis 1500 vor Christus? Hinweise geben derzeit nur die Zwetschkenkerne: Die Kuchlzwetschke ist erst nach Christus in den Ostalpen eingewandert. Prähistorikerin Jutta Leskovar geht bei derzeitigem Kenntnisstand von einer Datierung zwischen dem fünften und dem zehnten Jahrhundert nach Christus aus. Eine nähere Eingrenzung wäre durch eine Radio-Karbon-Datierung möglich, die bislang noch nicht durchgeführt wurde.
Nicht aufklären lassen sich die Umstände des Todes: War es ein Mord, vielleicht ein Ritualmord, wie zeitweise spekuliert wurde? War es eine Hinrichtung? Aber aus welchem Grund? Diese Fragen wird der schöne Zopf nicht beantworten, den Leskovar in seiner Schachtel wieder in den Panzerschrank des Landesmuseums räumt. «
Zu Bild 1:
Geflochten und gebürstet: Das im OÖ. Landesmuseum aufbewahrte Haar, das höchstwahrscheinlich zur Edlbacher Moorleiche gehörte, sieht durchaus beeindruckend aus. Leider wurde es vor der Übergabe an das Museum gereinigt, was mikroskopische Untersuchungen sinnlos macht.
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