Worauf verzichten Sie selbst für das Klima?
Bjarne Kirchmair: Also ich sehe diese Verzichtsdiskussion sehr kritisch. Das lenkt den Fokus auf das Falsche. Wir müssen unser gesellschaftliches System ändern. Man kann noch so vegan leben oder wenig Auto fahren, allein als Individuum kann man den Klimawandel nicht aufhalten. Es ist viel wichtiger, dass wir unser Verhalten als Gemeinschaft verändern und das hat meiner Meinung nach wenig mit Verzicht, sondern mehr mit Umstellung zu tun. Es ist ein Systemproblem und kein individuelles Problem. Deswegen sehe ich auch Berechnungen des jeweiligen CO2-Fußabdruckes kritisch. Lobbygruppen von Ölfirmen haben diesen Fußabdruck in den 90ern erfunden, damit von ihnen abgelenkt und die Verantwortung auf das Individuum abgeschoben wird.
Trotzdem: Was ist das „Bisschen weniger“ bei Ihnen selbst?
Kirchmair: Ich esse zum Beispiel kein Fleisch mehr und seit ich bei Fridays for Future dabei bin, bin ich nicht mehr geflogen.
Die spürbaren Folgen der Klimakatastrophe rücken immer näher, etwa die verheerenden Überschwemmungen in Mitteleuropa im letzten Sommer. Löst das bei Ihnen Panik aus?
Kirchmair: Panik eher weniger. Ich kann es einfach es nicht verstehen, wie irrational Entscheidungsträger handeln. Ich kann nicht akzeptieren, dass die Politikerinnen und Politiker die Fakten des Klimawandels kennen und sie dennoch weitgehend ignorieren. Diese Art von Politik, diese Art von Führung, löst bei mir Sorgen, Unverständnis und Hoffnungslosigkeit aus.
Greta Thunberg hat ja auch vor kurzem gesagt, dass die UN-Klimakonferenzen nur leeres Blabla sind.
Kirchmair: Das stimmt leider. Jetzt wurde gerade am Klimagipfel in Glasgow das Wälderschutzabkommen groß vorgestellt, obwohl es bereits schon 2014 verprochen wurde. Das nimmt man nochmal her, weil sie die benötigten großen Erfolge nicht vorzeigen können. Die Politiker reden immer schön, versprechen Ziele, leiten aber keine konkreten Handlungsschritte ein. In Österreich hat sich zum Beispiel der CO2-Ausstoß in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht verringert, sondern ist immer weiter gestiegen. Und da kann man noch so große Reden schwingen und umweltbewusst werden, wenn wir den faktischen Treibhausgasausstoß nicht endlich reduzieren, steuern wir geradewegs in die Klimakatastrophe hinein. Solange klimaschädliches Verhalten so stark begünstigt ist wie jetzt, wird sich die Wirtschaft nicht auf den Weg in Richtung Zukunft begeben können.
Was meinen Sie damit zum Beispiel konkret?
Kirchmair: Wenn zum Beispiel dem Schienenverkehr mehr Steuern auferlegt werden als etwa dem Flugverkehr, wird die breite Masse eben das Flugzeug nehmen, weil es um ein Vielfaches billiger ist. Es muss mehr Kostenwahrheit geben. Die Schäden der CO2-Emissionen müssen mit einberechnet werden, mit einem Wert, der auch der Wahrheit entspricht und nicht lächerliche 30 Euro die Tonne CO2, wie derzeit geplant ist. Das hat keine reale Veränderung zur Folge.
Die politischen Vorgaben sind derzeit aber nicht nur in Österreich meilenweit davon entfernt
Kirchmair: Noch wird das alte System ganz stark unterstützt. Mit der Förderung fossiler Energie, wie es beim Dieselprivileg der Fall ist, fördern wir unsere eigene Auslöschung, um es drastisch zu sagen. Es gibt neben dem Umweltaspekt auch wirtschaftlich und sozial keinen Grund, diese Subventionen weiterzuführen.
Ein Argument aus der Politik ist, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wenn keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden
Kirchmair: Das ist ein beliebtes Totschlagargument und schlicht und einfach falsch. Die Wirtschaft entwickelt sich weiter, das ist schon seit Jahrhunderten so. Sehen wir auf die Industrialisierung negativ zurück, bei der viele Berufe überflüssig wurden und dafür neue entstanden? – Nein, oder? Es werden statt der Jobs im fossilen Sektor neue Jobs im grünen Sektor entstehen.
Sie sind enttäuscht von der Politik. Muss Fridays For Future noch ein bisschen radikaler werden, um mehr zu erreichen?
Kirchmair: Zum einen muss man sehen, dass Fridays for future schon sehr viel erreicht hat. Das Bewusstsein über die Klimakatastrophe ist durch unsere Proteste stark gestiegen. Doch natürlich fehlen immer noch die Taten. Aber es ist nicht unbedingt sinnvoll radikalere Protestaktionen zu wählen, weil die breite Bevölkerung dafür kein Verständnis hätte. Gerade in Österreich ist das so, wo viele Menschen grundsätzlich eher konservative Einstellungen vertreten.
Es gibt einzelne Verkehrsprojekte in Oberösterreich, wie den Westring in Linz, die mit den Klimazielen schwer vereinbar sind. Hätte es hier von Fridays for Future noch mehr Widerstand geben sollen?
Kirchmair: Solche fossilen Großprojekte, die vor Jahrzehnten geplant worden sind, haben keinen Sinn mehr und sind daher einzustellen, weil wir den Autoverkehr ja reduzieren müssen und nicht ausbauen. Aber jetzt, wo der Westring schon gebaut wird, ist es wichtiger und effektiver, die Energie auf andere, noch beeinflussbare Themen zu richten.
Das Pariser Abkommen sieht eine Begrenzung der Erderwärmung bis 2100 um 1,5 Grad vor. Ist das noch zu schaffen?
Kirchmair: Fridays for Future kämpft für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens. Wir müssten eigentlich dieses 1,5- Grad-Ziel einhalten, weil wir wissen, dass eine weitere Erwärmung schlimme Folgen nach sich zieht. Persönlich glaube ich, dass die 1,5 Grad mittlerweile sehr schwierig zu erreichen sind, aber vielleicht schaffen wir 1,7 Grad. Wir müssen für jedes Zehntelgrad kämpfen, weil es einen Riesenunterschied ausmacht. Das Risiko, dass das Klima komplett kippt und eine fatale Kettenreaktion in Gang gesetzt wird, die eine ungebremste Erderhitzung zur Folge hätte, wird mit jedem Zehntelgrad zusätzlicher globaler Erderwärmung größer. Das müssen wir unbedingt verhindern. Denn wer würde schon sagen, dass er in einen Flieger steigt, der mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt? Aber genauso ist es mit der Einhaltung der Klimaziele.
Fridays for future ist im letzten Jahr in die Kritik gekommen, weil einzelne Vertreter zum Nahostkonflikt gepostet und sich gegen Israel positioniert haben. Sollte man nicht zu solchen Themen abseits vom Klima und Umweltschutz besser schweigen?
Kirchmair: Leider gibt es Leute, die ihre politische Agenda als Trittbrettfahrer bei Fridays for future durchsetzen wollen. Sie missbrauchen unsere Prominenz für andere Themen. Darauf achten wir verstärkt, dass das nicht passiert. Friday for Future Österreich konzentriert sich klar auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommen, also auf das was die Poltik vor 6 Jahren versprochen hat zu tun.
Zell/Pram. Bei den Zeller Schlossgesprächen stehen am 19. und 20. November die Corona- und die Klimakrise thematisch im Mittelpunkt. Am Fr., 19.11 findet um 19.30 Uhr eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Der Erde und dem Menschen gerecht“ statt. Am Podium sitzen Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, Sozialethiker Markus Schlagnitweit, Christian Dörfel, Klubobmann der ÖVP im oö. Landtag, und Bjarne Kirchmair von Fridays for Future. Vertieft werden die Inhalte im Schloss Zell an der Pram nochmals am Sa., 20. November, von 9 bis 13 Uhr (Programm siehe www.schloss-zell.at)
Veranstalter der Zeller Schlossgespräche sind Bildungsschloss Zell/Pram, das Projekt „Brücken bauen“, Caritas, Theologische Erwachsenenbildung und Kath. Bildungswerk. Die KirchenZeitung Diözese Linz ist Kooperationspartner.
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