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„Schon als Kind habe ich mich nicht als Mädchen gefühlt. Nie. Nie. Nie. Wenn ich meinen Bruder oder meinen Vater gesehen habe, wollte ich so aussehen wie sie“, sagt Max°, heute 47 Jahre alt. Er wollte sich trotz dieser Gefühle erst als Transmann outen, wenn seine Eltern verstorben wären. Getan hat er es aber dann doch mit 38 Jahren. Entscheidend dafür war der Austausch in einer Gruppe von trans* Personen. Seine Mutter nahm Max an, so wie er war. Sein Vater nennt ihn bis heute „unnormal“.
Etwas einfacher hat es Dominik°. Er outete sich in der Pubertät als transsexuell. Seine Mutter Vivian° machte ihn und seine Schwester schon als kleine Kinder darauf aufmerksam, dass „schwul“ kein Schimpfwort sei. Später erfuhr Vivian, dass genau diese Haltung die Basis geschaffen hatte, dass sich Dominik ihr anvertrauen konnte. Vivian unterstützt ihren Sohn auf seinem Weg.
Schwieriger hat es Dominik allerdings mit seiner Großmutter. Diese verweigerte lange, Dominik als „Er“ und mit seinem neuen Namen anzusprechen. Vivian erzählt: „Es nicht verstehen und akzeptieren wollen, war für Dominik total verletzend.“ Mittlerweile schafft es die Großmutter, einfach zu fragen: „Wie gehts den Kindern?“
„Was in den 1990er-Jahren Homosexualität war, ist heute Trans*“, sagt Paul Neunhäuserer, Referent für Regenbogenpastoral in der Diözese Linz. Trans* Personen erleben massive gesellschaftliche Diskriminierung, sie werden belästigt und sind oftmals Opfer von Gewalt. Studien belegen, dass trans* Personen überdurchschnittlich von Armut, Arbeits- und Wohnungslosigkeit betroffen sind. Die Suizidrate ist höher.
„Menschen und Orte zu haben, wo sich trans* Personen angenommen fühlen und sie selbst sein können, ist für viele buchstäblich lebensrettend“, berichtet Pastoraltheologin Stephanie Bayer. Sie schreibt gerade ihre Dissertation zum Thema Biografien von trans* Menschen. Gesellschaftlich müsse noch einiges passieren, sagt sie. Die medizinische Versorgung von trans* Personen sei mehr als lückenhaft, auch gibt es wenige für das Thema kompetente Psychotherapeut:innen. Das bestätigen Max und Vivian, sie beklagen auch die vielen bürokratischen Hürden. „Was ist, wenn ich einen Unfall habe?“, fragt sich Max.
Warum fällt es manchen Menschen so schwer, mit trans* Personen umzugehen? Paul Neunhäuserer weiß aus seiner Beratungserfahrung, dass es nie leicht ist, wenn etwas anders und neu ist, doch „sobald man eine Person besser kennenlernt, zählt der konkrete Mensch“. Schwarz-Weiß-Malen und -Denken seien nie gut im Miteinander. „Das Thema Trans* bewegt Menschen so, weil es die eigene Vorstellung, was Frau- und Mannsein bedeutet, in Frage stellt“, erklärt Stephanie Bayer. Auch ihr sei das am Anfang schwergefallen.
Bayer und Neunhäuserer raten im Kontakt mit trans* Personen die eigenen Irritationen und Unsicherheiten anzusprechen und dabei Rücksicht auf die Gefühle des Gegenübers zu nehmen. Man kann nachfragen, wie jemand gerne angesprochen werden möchte.
Anstatt nach Erklärungen zu suchen, rät Stephanie Bayer, den Menschen aktiv zuzuhören. Problematisch ist es, nach dem früheren Namen zu fragen. „Eine furchtbare Frage“, sagt Max. „So viele Jahre hat es gedauert, bis ich den richtigen Namen hatte.“
„Man kann die Bibel wörtlich oder sie ernst nehmen“, zitiert Paul Neunhäuserer den deutschen Theologen Michael Brinkschröder. Der Kern der christlichen Botschaft sei, dass es um jeden Menschen gehe – ohne Ausnahme. Gerade auch Papst Franziskus betone das immer wieder.
Seitens des Lehramtes und anderer Gruppen gibt es massive Ressentiments gegenüber trans* Personen. Max macht diese Diskriminierung queerer Menschen sehr traurig. „Das ist doch ein Widerspruch zu ‚Gott ist Liebe‘.“ Vivian sagt: „Das ist, wie es früher mit den ledigen Kindern war, es kommt auf die konkreten Personen von Kirche an.“
Paul Neunhäuserer von der Regenbogenpastoral ist überzeugt davon, dass es wichtig ist, offene, engagierte Personen in der Kirche zu stärken. Es geht um Sichtbarkeit: „Ein Queer-Gottesdienst ist ein sicherer Ort für eine trans* Person.“ Stephanie Bayer teilt das und wendet doch beim Blick aufs Ganze realistisch ein: „Kirche ist kein ‚Safespace‘ für trans* Personen.“
° Name von der Redaktion geändert
Trans* ist ein Überbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht oder nicht vollständig mit dem anhand äußerer Merkmale bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Körperlich äußert sich Trans* nicht. Trans* wird heute nicht mehr als psychische Erkrankung definiert, sondern als eine individuelle Variante menschlicher Geschlechtlichkeit. Relevant ist die Selbstauskunft der Person.
Eine Transfrau ist eine Person, die sich als Frau identifiziert, obwohl ihr bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeordnet wurde.
Umgekehrtes gilt für Transmänner.
Menschen, die sich den Kategorien „weiblich“ und „männlich“ nicht zuordnen, nennt man Nicht-Binär.
Das Sternchen* soll Raum für verschiedene Identitäten lassen.
Die sexuelle Orientierung (hetero- oder homosexuell) hat keinen Zusammenhang mit Trans- und Intersexualität.
Menschen, die nicht trans* sind, werden als cisgeschlechtlich oder einfach CIS bezeichnet.
Trans* im Kontext von Theologie & Kirche – Perspektivenwechsel mit Stephanie Bayer am 13. Juni, 19 Uhr, Mariendom Linz / Domcenter.
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