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„In Maxʼ Bauplan hat sich ein Fehler eingeschlichen.“ Mit diesem Satz hat ein Arzt Birgit Kubik und ihrem Mann Michael erklärt, warum ihr Sohn Autist ist, verbunden mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und auch einer körperlichen Beeinträchtigung.
„Warum wir, warum nicht jemand anderes?“ – diese Frage hat sich das Ehepaar Kubik aber nie ernsthaft gestellt. Und das, obwohl die Herausforderung, ein Kind mit Behinderung zu pflegen, zu betreuen und großzuziehen enorm ist. Wie enorm, davon erhält man einen Eindruck, wenn man Birgit Kubiks Buch „In seinem Element. Der ganz normal-verrückte Alltag mit unserem autistischen Sohn“ liest, das eben erschienen ist.
In beeindruckender Offenheit schildert die Marketingmitarbeiterin der Kirchenzeitung der Diözese Linz, wie sie und ihr Mann nach und nach erfahren, warum ihr erstes Kind anders, besonders ist. Ohne Pathos schreibt sie über die Arztbesuche, Therapien, vom oftmaligen Windelwechseln bis zum zwölften Lebensjahr und Max‘ permanenter Forderung nach Aufmerksamkeit.
Es sind auch die vielen positiven Begegnungen, über die Birgit Kubik berichtet. Gerade in Enns, wo die Familie lebt, kennen viele Menschen Max und gehen auf sein Besonders-Sein ein, zum Beispiel in der Pfarre. Erfreut liest man über die Begegnung mit einem Mann in der U-Bahn in Wien, den Max – so wie viele Menschen – einfach anspricht. Der Anzugträger ignoriert Maxʼ Frage „Wer bist du?“ nicht, sondern lobt ihn für die „philosophische Frage“.
Aber natürlich gibt es ebenso die anderen Situationen – zum Beispiel als es im Raum steht, dass Max die Schule verlassen muss: Er hat auf für ihn stressige Situationen mit Würgen, Zwicken, Spucken und Schreien reagiert.
An seinem zehnten Geburtstag blickt Kubik zurück: „In diesen ersten zehn Jahren hatte Max etwa 2.500-mal erbrochen, wir hatten wegen Max 357 amtliche, ärztliche oder Besprechungstermine, mehr als 200 Therapietermine, waren 25 Wochen stationär im Krankenhaus oder in Rehakliniken und haben 21.900 Windeln verwickelt“, schreibt sie.
Aber sie erzählt auch über seine Lust am Leben und seine Hobbys. Das Buch hat einen zurückhaltenden, nüchternen Stil. Nirgends braucht es viele Adjektive: Wie anstrengend, manchmal frustrierend, fordernd das Leben mit einem beeinträchtigten Kind sein kann, erkennt der:die Leser:in von selbst.
Sie habe sich bewusst entschieden, über das Leben mit Max zu schreiben, nicht aber sosehr, wie es ihr und ihrem Mann damit gehe, sagt Kubik.
Drei Motive hatte sie dafür, das Buch zu verfassen: Als Therapie konnte sie sich erstens die Intensität und Herausforderung von der Seele schreiben.
Zweitens hat sie selbst viele Bücher von und über Autist:innen gelesen: Selbst wenn die Situation immer anders sei, könne man aus jedem Buch etwas lernen. Sie möchte, dass auch ihr Buch anderen hilft.
Der dritte Grund ist die Wertschätzung für all jene, die in der Betreuung von Menschen mit einer Behinderung ihr Bestes geben. „Vor Maxʼ Geburt hatte ich keine genaue Vorstellung, heute weiß ich, wie wichtig und fordernd diese Aufgabe ist“, sagt sie. Ihr Mann trage das Erscheinen des Buches voll mit.
Wenn Birgit Kubik erzählt, wie ihr Sohn auf Menschen ganz offen zugeht – egal, ob es der Anzugträger in Wien ist oder Menschen vor dem Tattoo- und Piercingstudio – wird auch klar, dass man von Max lernen kann, eben weil er ohne Vorurteil ist.
Das Buch endet damit, dass Max 19 Jahre alt wird und in eine betreute Wohngemeinschaft zieht. Er selbst ist sehr stolz darauf, erwachsen zu sein. Aber wie geht es seinen Eltern? „Wir haben auf diesen Tag der Selbstständigkeit von Max hingearbeitet. Aber es ist uns an dem Tag, an dem er ausgezogen ist, und an den darauffolgenden Tagen gar nicht gut gegangen“, sagt Kubik.
Heute wohnt Max unter der Woche in der Wohngemeinschaft, am Wochenende kommt er nach Hause zu seinen Eltern und seinem Bruder.
TIPP:
Hören Sie den Beitrag aus der Ö1-Sendung "Lebenskunst - Begegnungen am Sonntagmorgen" gestaltet von Doris Appel. Beitrag von Maria Harmer, ausgestrahlt am Sonntag, 26. Nov. 2023.
-> Interview zum Buch: Reel ORF OÖ
Buchvorstellungen:
Sa., 30. September 2023, 19.00 Uhr, Pfarrsaal Enns-St. Laurenz;
Mi., 11. Oktober 2023, 18.30 Uhr, Buchhandlung Skribo in Wels
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