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„Träume sind wichtig für die Emotionsregulation“, sagt Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien. Wichtig seien Träume auch für das Gedächtnis und die Konzentration. Komme der Schlaf zu kurz, vermindere das die Gedächtnisleistung und finde kein REM-Schlaf statt, begünstige das sogar Halluzinationen.
Der REM-Schlaf (von engl. Rapid Eye Movement: schnelle Augenbewegung) ist jene Schlafphase, in der wir träumen. Wissenschaftlich gesehen ist allerdings noch nicht geklärt, ob wir ausschließlich in der REM-Phase träumen.
Fest steht für die Traumforscherin und Psychotherapeutin aber, dass Träume keine „Abfallprodukte“ des Gehirns sind: „Etwas, mit dem wir so viel Zeit verbringen, kann nicht sinnlos sein. Ein Traum ist so etwas wie eine kleine Psychotherapie, um mit den Herausforderungen des Lebens zurechtzukommen, zu wachsen und zu lernen.“
Unter anderem können Krisen besser bewältigt werden: „Ich wurde einmal in St. Petersburg ausgeraubt. Die drei darauffolgenden Nächte habe ich geträumt, ich werde immer wieder ausgeraubt. Danach war es aber vorbei“, beschreibt Holzinger aus eigener Erfahrung. Erlebnisse und Wahrnehmungen werden im Traum verarbeitet, und so kommt man im Wachzustand besser damit zurecht.
Oft lassen Träume die Menschen eher ratlos zurück. Lexika über Traumsymbole werden dann zurate gezogen oder Freund:innen und Bekannte versuchen, das Geträumte zu deuten. „Meiner Erfahrung nach ist man immer damit unzufrieden, wie jemand anderer den eigenen Traum interpretiert, je nachdem, wie man zu der Person steht“, sagt Holzinger. „In der modernen Traumarbeit hat man sich vom Interpretieren verabschiedet.“
Eine der modernsten Methoden, um mit Träumen umzugehen, sei das „Dream Sense Memory“. Es geht dabei darum, den Traum so genau wie möglich aufzuschreiben und den Traumbildern auf der sinnlichen Ebene zu folgen. „Wichtig ist nicht das Interpretieren von Symbolen, sondern die Nacherfahrung, das Hineinspüren, wie sich etwas angefühlt hat. Letztlich ist man selber die Person, die den Traum wirklich verstehen kann.“ Trotzdem könne ein Austausch mit anderen Träumenden bereichernd sein, das zeige sich immer wieder in den vom Institut für Bewusstseins- und Traumforschung angebotenen „Traumgruppen“. Bei diesen Treffen werde den Träumen der anderen mit Würde und Wertschätzung begegnet, ohne zu interpretieren.
Nicht nur, aber besonders bei Kindern sind Albträume ein großes Thema. Brigitte Holzinger gibt Eltern Tipps zum Umgang damit: „Zunächst ist zu sagen, dass Albträume bei Kindern ganz normal sind. Treten Sie in Dialog, bestärken Sie Ihr Kind darin, zu erzählen, was es geträumt hat. Erklären Sie, dass der Traum vielleicht ja nicht fertig geworden ist und überlegen Sie gemeinsam, wie dieser weitergehen könnte. Zeichnen oder malen Sie den Traum miteinander.“
Eine Art „Traumhygiene“, also „gutes“ Träumen, könnte bei Erwachsenen schon bei der Schlafhygiene anfangen, meint Holzinger: „Sorgen Sie dafür, dass Sie gut schlafen und vielleicht auch ein wenig länger, denn dann gibt es mehr REM-Phasen.“
Außerdem müsse man zu verstehen beginnen, dass Träume uns viel zugänglicher sind, als wir gelernt haben: „Ich empfehle, ein Traumtagebuch zu führen, um sich die Traumwelt mehr aneignen und sie besser verstehen zu können. Über die Würdigung des Träumens kann sich mehr Selbstvertrauen und mehr Selbstwirksamkeit entwickeln.“
Träume haben auch eine große spirituelle Tradition: In der Bibel hat Gott den Menschen oft über Träume den Weg gewiesen. Holzinger sagt dazu Folgendes: „Für mich als kulturell und geschichtlich interessierte Traumforscherin und Psychotherapeutin gehört die Spiritualität dazu. Wie sich diese kulturell ausdrückt, wird vom jeweiligen Zeitgeist bestimmt.“ Im alten Griechenland seien alle Gefühle und psychischen Instanzen Göttern zugeschrieben gewesen, die im Olymp saßen und von oben bestimmten.
„Wir heute verstehen das eher so, dass wir das in uns tragen: unsere Gefühle, Bestrebungen, psychische Instanzen. Das gibt uns mehr Selbstverantwortung. Gleichzeitig kann die Zuwendung zum Traum ausdrücken, dass es da vielleicht noch etwas anderes gibt. Etwas größeres, weiteres, über- oder rundherumgeordnetes, uns umgebendes, das uns mit den anderen verbindet.“
ist Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung und Lehrende an der MedUni Wien. Das Institut beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen, therapeutischen, künstlerischen und spirituellen Erschließung des Traums und des Träumens. Die Aktivitäten umfassen Forschungsprojekte, Vorträge und Symposien. Außerdem gibt es an der MedUni Wien einen Lehrgang zu Schlafcoaching.
www.schlafcoaching.org
www.meduniwien.ac.at/postgraduate/schlafcoaching
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