Wort zum Sonntag
Wer in Köln aus der Kirche austreten möchte, braucht einen Termin beim Amtsgericht, der online gebucht werden kann. Vorige Woche ging eine Nachricht durch die Medien: Der Server des Amtsgerichts war wegen Überlastung abgestürzt. Als Grund wurde genannt, dass zu viele Menschen gleichzeitig einen Termin für den Kirchenaustritt beantragen wollten. Beobachter interpretierten den Absturz des Servers als Symbol für die abstürzende Beliebtheit des Kölner Erzbischofs und mit ihm der katholischen Kirche. Dabei begann alles mit viel gutem Willen.
Als die Deutsche Bischofskonferenz Ende September 2018 eine umfassende Studie über sexualisierte Gewalt durch Geistliche zwischen 1946 und 2014 veröffentlichte, war die Erschütterung groß. Von 3.677 Kindern und Jugendlichen war die Rede, die von 1.670 Klerikern (4,4 Prozent) missbraucht worden waren. Diese dokumentierten Fälle sah man als „Spitze des Eisbergs“ an. Die Bischöfe äußerten sich beschämt. Auch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki beteuerte: „Ich schäme mich für meine Kirche.“ Die Studie, die von Wissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen in vier Jahren erarbeitet worden war, hatte ein vorgegebenes Ziel erreicht: „Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche“ zu vergrößern, wie es der für Missbrauchsfragen Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, formulierte.
Das war dem Kölner Kardinal aber zu wenig. Er kündigte gleichzeitig eine detaillierte Studie für Köln an, da die bundesweite Studie „aufgrund des Umfangs der Akten nur stichprobenartig“ gearbeitet hatte. Unabhängige Fachleute sollten die Akten für Köln „ungeschönt und ohne falsche Rücksichten“ überprüfen. Kardinal Woelki rechnete mit „sehr schmerzhaften“ Ergebnissen. „Die Aufklärung, wie wir in Fällen sexualisierter Gewalt gehandelt haben und welche Fehler gemacht wurden, ist von höchster Bedeutung“, verkündete der Erzbischof und setzte sich zum Ziel, persönliche Fehler von Verantwortlichen und organisatorische, systemische Fehler aufzuklären.
Im Dezember 2018 beauftragte der Kölner Erzbischof die Münchner Anwaltskanzlei „Westpfahl Spilker Wastl“ (kurz WSW), ein Gutachten über sexuellen Missbrauch minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker und pastorale Mitarbeitende 1975–2018 zu erstellen. Als dieses im Herbst 2020 fertig wurde, ließ es Woelki vom Strafrechtler Matthias Jahn aus Frankfurt am Main prüfen. Dieser stellte Mängel am WSW-Gutachten fest, was Kardinal Woelki dazu veranlasste, die Veröffentlichung des Münchner Gutachtens abzusagen bzw. aufzuschieben. Als Gründe nannte er, dass das WSW-Gutachten von 189 ausgewerteten Personalakten nur 15 exemplarisch darstelle und dass die namentliche Erwähnung von Verantwortungsträgern zivilrechtliche Klagen nach sich ziehen könne.
War der Kardinal die Aufgabe mit dem Ziel angetreten, für Transparenz zu sorgen, so glaubte ihm das nun kaum jemand. Wer ein Gutachten zurückhält, wolle etwas vertuschen, so die gängige Meinung. Für einen weiteren Eklat sorgte ein journalistisches Hintergrundgespräch am Dreikönigstag 2021, das eigentlich als Vertrauenserweis an einige Medienleute gedacht war. Sie sollten im Generalvikariat die Möglichkeit bekommen, mit dem Frankfurter Gutachter Jahn per Videokonferenz zu sprechen und Einsicht in das unveröffentlichte, 500 Seiten starke WSW-Gutachten bekommen. Dass ein Hintergrundgespräch nicht zur direkten Veröffentlichung gedacht ist, versteht sich im journalistischen Ehrenkodex von selbst. Doch die anwesenden Journalist/innen sollten unterschreiben, dass sie niemals die im Gutachten geschilderten „Tathergänge sexuellen Missbrauchs“ oder „benannte Täter“ preisgeben würden. Woraufhin sie aufstanden und gingen. Ein weiterer Tiefpunkt in der Kommunikation von „Transparenz“.
Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hatte das Vorgehen bereits im Dezember kritisiert. An der guten Absicht des Kölner Erzbischofs, für Transparenz zu sorgen, zweifle er nicht, aber „dass das jetzt in ein regelrechtes Desaster gemündet ist und auf uns alle abfärbt, das ist nicht gut.“ Mitten im „Pastoralen Zukunftsweg“ des Erzbistums Köln, der aus 500 Pfarren etwa 50 Pfarren machen soll, beendete der Kölner Diözesanrat die Zusammenarbeit mit der Diözesanleitung. Der Diözesanrat ist ein gewähltes Gremium aus Laien und Priestern, das die Pfarren und katholischen Verbände vertritt und die Diözesanleitung berät. Begründet wurde der Ausstieg mit der „ungeklärten Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln“ und der „Verengung auf juristische Streitfragen“. Das Präsidium des ohnehin mit Woelki im Dauerkonflikt stehenden Synodalen Wegs kritisierte den Glaubwürdigkeitsverlust: „Die Vorgänge um die Bestellung, Nichtveröffentlichung und Neuvergabe von Gutachten haben dazu geführt, dass viele am Willen kirchlicher Autoritäten zu vorbehaltloser Aufklärung zweifeln. Unabhängig von der Frage des guten Willens der Beteiligten, unabhängig von Absichten, Motiven und der Einschätzung einzelner Sachverhalte: Es sind erhebliche Irritationen entstanden und es ist ein Verlust an Vertrauen eingetreten, der nur schwer wieder behoben werden kann.“
Andere unterstützen Woelki. Die Initiative „Fairness in der Kirche“ fordert, „dass es auch in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zu einem gerechten Umgang mit Fakten und der Person des Kardinals kommt, der mehr Solidarität und Loyalität, aber auch Respekt und Fairness verdient hat“. Initiator ist der Bonner Publizist Martin Lohmann, der es „absurd“ nennt, Woelki „einen mangelnden Aufklärungswillen zu unterstellen oder gar eine Vertuschungsbereitschaft anzuheften“. Auch der frühere deutsche Bundesrichter Thomas Fischer sprach dem Kardinal öffentlich sein Vertrauen aus. Da seien doch nicht „lauter Verschwörer am Werk in Rechtsanwaltskanzleien und Universitäts-Lehrstühlen, die sich mit dem Kardinal oder dem Generalvikar verschworen haben, Verbrechen in Köln zu vertuschen“.
Vertuschung wird Kardinal Woelki auch in einem konkreten Missbrauchsfall vorgeworfen. Ein 2017 verstorbener Pfarrer soll Ende der 1970er-Jahre ein Kindergartenkind missbraucht haben. Kardinal Woelki wird beschuldigt, dass er das nach seinem Amtsantritt 2015 zur Kenntnis nahm, aber eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom unterließ. Der Erzbischof verwies auf die damals schon fortgeschrittene Demenz des Pfarrers und ließ sein Vorgehen vom Vatikan prüfen. Dieser plant offenbar keine kirchenrechtlichen Schritte gegen den Kardinal. Mittlerweile schließt Kardinal Woelki „persönliche Konsequenzen“ nicht aus. Er möchte aber auf die Veröffentlichung des nächsten Gutachtens warten, das er im Oktober 2020 beim Kölner Strafrechtler Björn Gercke in Auftrag gab. Am 18. März sei dies zu erwarten. Doch ein Rücktritt wäre keine alleinige Entscheidung des Erzbischofs, er kann Papst Franziskus den Rücktritt nur anbieten. In seinem Fastenhirtenbrief gab Kardinal Woelki Fehler im Krisenmanagement zu, wie schon zu früheren Anlässen: „Das alles tut mir von Herzen leid.“ Dem Kölner Domradio gegenüber gestand er ein, dass er die Fastenzeit nütze, um über Kommunikation nachzudenken: „Wie wir in Gemeinschaft bleiben, auch wenn wir gegensätzlicher Meinung sind.“
2014 bis 2018
Die Deutsche Bischofskonferenz lässt von einem Stab Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Disziplinen eine Studie zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt durch Geistliche erstellen. Auf 350 Seiten werden Missbrauchstaten von 1946 bis 2014 aufgedeckt.
2018 bis 2020
Die Münchner Anwaltskanzlei „Westpfahl Spilker Wastl“ erarbeitet im Auftrag der Erzdiözese Köln ein Gutachten über 189 Personalakten von Missbrauchstätern der Erzdiözese Köln 1975–2018. Kardinal Rainer Maria Woelki lässt es nicht veröffentlichen, da ein juristisches Gutachten Mängel feststellt.
2020
Der Frankfurter Strafrechtler Matthias Jahn schreibt ein Gutachten über das Münchner WSW-Gutachten.
2020 bis 18. März 2021
Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke erstellt ein neues Gutachten „ohne Kompromisse“.
Warum Woelki gehen muss - Leitartikel von Heinz Niederleitner
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