Wort zum Sonntag
„Die Folgen des Klimawandels werden längerfristig weitaus verheerender ausfallen als jene der aktuellen Pandemie“ – wenn es kein Umdenken und Gegensteuern in sozioökonomischen Fragen gibt. So formulierten es die österreichischen Bischöfe in der Langversion ihres Pfingst-Hirtenworts „Für eine geistvoll erneuerte Normalität“. Und weiter: „Wir appellieren deshalb an die Bevölkerung und an alle Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sich mit der gleichen Intensität wie im Kampf gegen Covid-19 in der Rettung des Planeten zu engagieren.“ Die Bischöfe wiesen darauf hin, „dass wir unser Verhalten radikal ändern müssen“.
Bereits im September 2015 verpflichteten sich die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, siebzehn nachhaltige Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030 anzustreben, sogenannte „Sustainable Development Goals“, kurz SDG. Sie nannten diese Selbstverpflichtung „Agenda 2030“. Die Verknüpfung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension in den siebzehn Entwicklungszielen verbindet die Agenda 2030 inhaltlich mit der von Papst Franziskus am 18. Juni 2015 veröffentlichten Enzyklika „Laudato si’“. Es ist naheliegend, dass sich kirchliche Verantwortungsträger und Organisationen in den Prozess der Agenda 2030 einbringen – verfolgen sie doch dieselben Anliegen der nachhaltigen Entwicklung wie Wohlstand, Gesundheit, Bildung, Klimaschutz, Frieden, Gerechtigkeit für alle Menschen und mehr.
Eine Aktion, die diese Ziele ebenso teilt, ist das von einer breiten zivilgesellschaftlichen Plattform getragene Klimavolksbegehren, das neben dem Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky und dem Abtpräses der Benediktiner, Abt Johannes Perkmann, viele weitere Katholikinnen und Katholiken unterstützen. Das Klimavolksbegehren konzentriert sich zwar auf die Frage des Klimaschutzes, allerdings lassen sich die ökologischen Themen nicht gegen die sozialen und wirtschaftlichen Fragen ausspielen. Sie greifen ineinander. Die Eintragungswoche für das Klimavolksbegehren ist für 22. bis 29. Juni angesetzt. Auch dieser Initiative haben sich nicht wenige katholische Organisationen angeschlossen.
Die Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für Entwicklung und Mission war an der Organisation einer Online-Konferenz der „SDG Watch Austria“ zur Agenda 2030 Ende Mai beteiligt. Die hochkarätig besetzte Konferenz widmete sich der Frage, welche Rolle die Agenda 2030 im Wiederaufbau nach der Coronakrise spielen kann. Corona ist ein Ungleichheitsvirus, waren sich die Mitdiskutierenden am virtuellen Podium einig. „Wir waren am Anfang versucht, Covid-19 als Wohlstandsseuche zu begreifen, weil wir Ischgl im Blick hatten. Damit lagen wir aber falsch“, formulierte es Clemens Martin Auer, Gesundheits-Sonderbeauftragter im Gesundheitsministerium. Mit der Gesundheitskrise geht eine soziale Krise einher.
Die Hauptlast der Coronakrise tragen die Menschen im globalen Süden, gibt bei der Konferenz Karin Fischer zu bedenken, Leiterin des Arbeitsbereichs Globale Soziologie und Entwicklungsforschung der Johannes-Kepler-Universität Linz. Das liege an strukturellen Problemen, die vorher schon bestanden und durch die Krise verstärkt wurden, daran, dass die Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd ungleich sind. Diese Analyse teilt Fischer mit Papst Franziskus. Als Auswege hält sie eine Entschuldung der armen Länder und eine Änderung der internationalen Finanz-Architektur für zentral.
„Weitermachen wie bisher ist keine Option“, stellt Annelies Vilim fest, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung. „Wenn das Haus brennt, hilft es wenig, den Gartenzaun zu reparieren.“ Das Ziel sei ein gutes Leben für alle. Das schlägt wiederum die Brücke zu den Sustainable Development Goals. Die Lösung sei also spätestens seit 2015 bekannt. „Es lohnt sich, die Vision der nachhaltigen Entwicklungsziele im Kopf zu haben“, so Vilims Appell. „Denn was denkbar ist, ist machbar.“
Dass die Corona-Gesundheitskrise die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren ausgelöst hat, ruft Irene Janisch ins Bewusstsein, Abteilungsleiterin im Wirtschaftministerium. Angelika Köppl, Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut, bringt eine weitere Perspektive in die Diskussion ein: Man müsse die Wertschöpfung von linear auf Kreislauf umstellen. „Langfristige Auswirkungen heutiger Entscheidungen müssen mitbedacht werden.“ Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Indikator reiche da nicht mehr aus. Der Bau eines Kohlekraftwerks etwa würde sich positiv auf das BIP auswirken, langfristige Wirkungen würden darin nicht abgebildet.
„Eine derartige Krise braucht eine neue Politik“, wirft Umweltministerin Leonore Gewessler per Videobotschaft ein. Diese sei im Dialog mit der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft zu entwickeln, Erfahrungen dafür habe man nun in der Coronazeit gesammelt. An oberster Stelle steht für Gewessler, die Regionalität und die Solidarität in Europa gleichzeitig zu stärken. Das Thema Solidarität in Europa spielt auch im Beitrag von Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner eine wichtige Rolle. Dass die Grenzen innerhalb Europas so schnell wieder hochgezogen wurden, bereitet ihm Sorge. „Wir werden für die Sustainable Development Goals gemeinsame Antworten brauchen! Wir müssen die Rezepte querdenken.“«
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