Wort zum Sonntag
Der Historiker und Publizist Roberto de Mattei gilt als Speerspitze der konservativen Papstkritiker. Dass er auch das Thema Todesstrafe zum Angriff benutzt, mag angesichts der Ablehnung dieser Strafe in Europa überraschen. Doch de Mattei schreibt allen Ernstes: „Wer bekräftigt, dass die Todesstrafe an sich schlecht sei, verfällt in eine Häresie.“ Dazu zitiert er ein Schreiben aus dem Jahr 1208. In konservativen Internetforen wird über die Änderung des Katechismus debattiert.
Für Sigrid Müller, Dekanin der Theologischen Fakultät der Universität Wien, ist die Entscheidung des Papstes „eine logische Fortentwicklung von dem, was sich in den letzten Jahrzehnten in der kirchlichen Diskussion abgezeichnet hat. Wenn wir die Würde des Menschen ernst nehmen, muss das für jeden Menschen gelten, auch für einen Verurteilten. Diese Würde lässt sich aber nur verteidigen, indem man die Todesstrafe ablehnt.“
Warum aber wurde das nicht beim Erscheinen des Katechismus 1992 so geschrieben? „Damals war das Argument noch stärker präsent, dass der Staat diese letzte Möglichkeit haben müsse, wenn gar nichts anderes mehr geht. Aber in den kirchlichen Dokumenten seither wurde dieses Argument immer mehr abgeschwächt, indem man betont hat, dass es solch eine Situation eigentlich nicht mehr gibt.“
1997 hatte es geheißen, die kirchliche Lehre schließe die Todesstrafe nur dann nicht aus, „wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen“. 2015 hatte Papst Franziskus geschrieben, eine Hinrichtung sei keine Verteidigungssituation.
Dass de Mattei mit einem Dokument von 1208 aufwartet, um die Todesstrafe zu verteidigen, überzeugt die Moraltheologin Müller nicht: „Das hieße ja, den Heiligen Geist an einem Punkt in der Geschichte anzubinden. Mit Blick auf die Geschichte sehen wir ein wachsendes Verständnis in der Kirche für die Würde des Menschen.“
Tatsächlich scheint manche Diskutanten in Internetforen weniger die Todesstrafe an sich zu interessieren, als die Frage, ob man den Katechismus denn verändern könne. „Der Glaube der Kirche wird gelebt, er ist nicht einfach ein Stein, den man weiterreicht“, erklärt Sigrid Müller. „Es gibt sehr wenige Aussagen, die von Päpsten ex cathedra als unfehlbares Dogma erklärt wurden. Die Kirche hat in der Vergangenheit Fehler begangen und Abbitte geleistet. Zu behaupten, es würde kein Wachstum im Verständnis des Glaubens geben, würde heißen, den Heiligen Geist in seinem Wirken zu behindern. Insofern muss man Formulierungen auch im Katechismus verändern, wenn sie nicht mehr dem Glauben der Kirche entsprechen“, sagt Müller.
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