Wort zum Sonntag
Ich habe Benedikt XVI. immer wieder kritisiert. Aber das bedeutet auch: Was er sagte und was er tat, war mir niemals gleichgültig. Sein Metier war die Theologie, die Rede von Gott; sein Arbeitsfeld war die Kirche, die auch meine Kirche ist. Sie verbindet uns, ob gewollt oder nicht gewollt.
Als Joseph Alois Ratzinger am 19. April 2005 zum Oberhaupt eben dieser römisch-katholischen Kirche gewählt wurde, hatte er es mit einem schweren Erbe zu tun: Auf der einen Seite war da der eben unter Rufen nach sofortiger Heiligsprechung beerdigte Vorgänger Johannes Paul II., dessen Erbe seine dunkle Seite noch nicht gezeigt hatte. Nach dem „großen Papst“, verkündete Benedikt, sei er, ein „einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“, gewählt worden.
Das zweite schwere Erbe war Ratzingers Tätigkeit als Leiter der Glaubenskongregation. Als Glaubenswächter hatte er viele Konflikte gehabt, insbesondere mit der Befreiungstheologie. Entsprechend geteilt waren die Reaktionen auf seine Wahl zwischen Freude bei seinen Anhänger:innen und Zweifel bei Kritiker:innen.
Der neue Papst setzte zu Beginn versöhnliche Zeichen. Mit seiner ersten, positiv gehaltenen Enzyklika „Gott ist die Liebe“ überraschte er seine Kritiker:innen. Spannend war auch die Wahl des Papstnamens Benedikt XVI.
Da schwang der Friedenspapst Benedikt XV. (1854–1922) mit, aber auch Benedikt von Nursia (ca. 480–547), der große europäische Heilige. Es waren auch die geistigen Probleme Europas, die den Papst aus Deutschland umtrieben. Wichtige Teile seines Werkes kreisen um die Warnung vor einer Gesellschaft, die keine festen Werte mehr zu kennen scheint („Relativismus“). Im Zentrum stand für ihn stets der christliche Glaube, mit dem er sich schon sein Leben lang beschäftigt hatte.
Denn der im bayerischen Marktl am Inn – knapp an der österreichischen Grenze – geborene Gendarmensohn hatte vor seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising (1977–1982) eine akademische Karriere hingelegt und in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg gelehrt. Als zunächst fortschrittlicher Dogmatiker hatte Ratzinger als Berater am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) gewirkt. Bald danach gab er aber eher vorsichtigen, später konservativen Einschätzungen in seinen Schriften Raum.
Auch als Papst blieb Benedikt XVI. in erster Linie Theologe. Das zeigte sich zum Beispiel in den Katechesereihen in den Generalaudienzen und bei der Veröffentlichung seines letzten großen Werkes „Jesus von Nazareth“. Es war kein lehramtliches Schreiben: Theologen:innen sollten darüber debattieren.
Und an der Theologie Ratzingers scheiden sich die Geister bis heute: Während ihn die einen als „Mozart der Theologie“ sehen, nehmen andere Fachleute ihn sehr kritisch wahr. Seine Theologie hatte auch Auswirkungen auf Entscheidungen im Amt: Umstritten blieb der letztlich gescheiterte Versuch des Papstes, die deutsche Übersetzung der Wandlungsworte in der Messe entsprechend der lateinischen Fassung zu ändern, wonach Christi Blut „für viele“ (statt „für alle“) vergossen sei. Von seinem Nachfolger wieder rückgängig gemacht wurde Benedikts generelle Zulassung der tridentinischen Messliturgie.
Dass ein Theologe nicht unbedingt ein Politiker ist, wurde in einem anderen Zusammenhang klar: Als Benedikt XVI. bei der Regensburger Rede 2006 einen mittelalterlichen Denker mit heiklen Bemerkungen über den Islam zitierte, führte die weltweite Verbreitung des Zitats zu Ausschreitungen in der islamischen Welt: Die Mitarbeiter hatten den Pontifex nicht vor den weltpolitisch missverständlichen Aussagen gewarnt. Andere Teile der Regensburger Rede blieben deshalb weitgehend unbeachtet; ebenso, dass mit manchen islamischen Autoritäten nach der Rede ein Dialog geführt wurde.
In der Absicht, eine Rückkehr in die volle Kirchengemeinschaft zu ermöglichen, hob Benedikt die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft auf. Doch es stellte sich heraus, dass einer davon ein Holocaustleugner war. Der Fehler lag bei einer Kurienbehörde – und dem zu gutgläubigen Papst.
Betroffen war Benedikts Pontifikat auch vom Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsskandale in der Kirche weltweit. Hier hatte er zunächst Missstände aus der Zeit Johannes Pauls II. aufzuarbeiten. Er verschärfte die Rechtsvorschriften und die Verfahrensweisen in der Kirche für diese Fälle und traf sich mehrmals mit Opfern von Missbrauch. Weltweit wahrgenommen wurde in diesem Zusammenhang sein Hirtenbrief an die Katholik:innen Irlands.
Benedikt XVI. unternahm als Papst 25 Reisen außerhalb Italiens, davon drei zu den großen Weltjugendtagen (Köln, Sydney und Madrid). Seine Heimat Deutschland besuchte er dreimal und hielt auch eine Rede vor dem Bundestag in Berlin. Im September 2007 war Benedikt XVI. anlässlich des 850-Jahr-Jubiläums von Mariazell in Österreich. Auf neun seiner 25 Reisen verließ der Papst Europa, wobei die Besuche 2006 in der Türkei und 2009 im Heiligen Land besonders hervorstachen. Zu den Reisen in Italien zählt der Besuch des interreligiösen Weltgebetstreffens 2011 in Assisi. Dass der Pontifex diese Initiative seines Vorgängers trotz kolportierter Vorbehalte fortsetzte, wurde positiv aufgenommen.
Betroffen war Benedikts Pontifikal auch vom „Vati-Leaks“-Skandal, der interne Konflikte und Skandale aus dem Vatikan bekannt werden ließ – beides zum Gutteil ein Erbe Johannes Pauls II. Der Widersacher wirke in der Kirche, hatte Benedikt XVI. einmal gesagt. Realistischerweise werden Fehler aber von Menschen begangen. Benedikts Rücktritt, den er im Februar 2013 bekannt gab, sicherte ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern. Es war zwar nicht der erste solche Schritt eines Papstes, aber der erste seit langer Zeit. Er trug dazu bei, das Papstamt auf ein menschliches Maß zurückzustutzen – ein Weg, den Benedikts Nachfolger Franziskus fortsetzt.
Ihm gegenüber verhielt sich der emeritierte Papst, der dann in einem Kloster in den Vatikanischen Gärten lebte, in der Öffentlichkeit loyal. Gelegentlich trat er in Erscheinung, enthielt sich aber jeden Kommentars über seinen Nachfolger.
Manche Institutionen versuchten, Benedikt XVI. schon zu Lebzeiten ein Denkmal zu setzen. Für seine Kritiker:innen war es ein schwieriges Pontifikat – wobei es nicht richtig wäre, Ratzinger allein für Fehler verantwortlich zu machen. Viele Konflikte seines Lebens dürften Wunden bei ihm hinterlassen haben, wie Äußerungen im Interviewbuch „Letzte Gespräche“ oder ein Aufsatz zur Missbrauchskrise 2019 zeigten. In diesem hatte er die 68er-Bewegung für die sexuellen Übergriffe durch Priester verantwortlich gemacht und die Moraltheologie angegriffen. Mit solchen Aussagen beschädigte Ratzinger selbst sein Ansehen. Schädlicher war aber seine Stellungnahme zum Missbrauchsgutachten in München, wo er einst Erzbischof war: Ein Mitarbeiterfehler führte dazu, dass ihm vorgeworfen wurde, die Unwahrheit gesagt zu haben.
Wie behalte ich Benedikt XVI. in Erinnerung? Er war ein tiefer Denker und hatte den Mut, Verletzlichkeit nicht zu verbergen. Ich sehe in seinem Wirken ein mitunter verzweifeltes Ringen mit der modernen Welt – in der besten Absicht, zu ihrer Rettung beizutragen. Die Gelassenheit, die erwächst, weil Gott die Welt im Grunde schon gerettet hat, habe ich vermisst.
Zu Gott ist Joseph Ratzinger nun heimgekehrt. Der Schöpfer wird dem „Arbeiter in seinem Weinberg“ den Lohn nicht vorenthalten. Denn ein Arbeiter schuldet dem Dienstherrn das eifrige Bemühen, nicht den Erfolg seiner Arbeit. Ob es Erfolg gibt, liegt allein bei Gott.
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