Wort zum Sonntag
Den eigenen Weg gehen. Auch unter widrigen Umständen. Wie die Pilotin Shaima Noori, die Dirigentinnen Negin Khpalwak und Zarifa Adiba oder die Malerin Rubaba Mohammadi. Sie leben in Afghanistan. Seit 40 Jahren herrscht dort Krieg. Frauen werden darüber hinaus diskriminiert. Trotzdem kämpfen sie für ein selbstbestimmtes Leben. Ihre Biografien geben Hoffnung, nicht den Mut zu verlieren. Nahid Shahalimi hat sie und andere couragierte Persönlichkeiten in ihrem Buch gewürdigt. Es sind Geschichten mit Tiefgang. Zum Beispiel jene der 17-jährigen Künstlerin Rubaba Mohammadi. Sie ist körperlich behindert und malt mit dem Mund. Durch ihren starken Willen, Geduld und Disziplin haben sich ihre Träume erfüllt, Malerin zu werden.
Nahid Shahalimi sieht sich selbst als Geschichtenerzählerin. Die Autorin, Künstlerin, Dokumentarfilmerin und Menschenrechtsaktivistin mit afghanischen Wurzeln hat vor zwölf Jahren „We the Women“ („Wir Frauen“) gestartet. Es ist ein globales Projekt. Die Idee war, Lebensrealitäten inspirierender Frauen aufzuzeigen. Begonnen hat es mit „We the Women Germany“ („Wir Frauen in Deutschland“) – Nahid Shahalimi malte Frauenporträts und veröffentlichte dazu ein Interview-Booklet. Es folgte das aktuelle Buch über mutige Frauen im kriegsgebeutelten Afghanistan und die Filmdokumentation „Wir Frauen in Afghanistan: Eine stille Revolution“. Geplant ist im Zuge des Projekts „We the Women USA“ und „We the Women MENA“ über Frauen in den USA, der Region Nahost und Nordafrika.
Neunzehn Mal war Nahid Shahalimi in Afghanistan, um das Buch zu schreiben und den Film zu drehen. Die Menschen dort wissen in der Früh noch nicht, ob sie den Tag überleben, ohne niedergebombt zu werden, berichtet die Autorin. „Jede Sekunde deines Lebens könnte die letzte sein. Diese Menschen leben im Hier und Jetzt. Für mich war es wichtig, diese ungewöhnlichen Frauenporträts auch in Europa vorzustellen. Die Botschaft lautet: Du hast die Wahl, entscheide dich. Finde deine Inspiration. Und setze sie um. Verlasse die eingefahrenen Wege, die du aus Angst nicht verlassen möchtest, die dich aber daran hindern, Dinge in Bewegung zu setzen.“
Als sich Nahid Shahalimi 2014 entschloss, für ihr Buchprojekt nach Afghanistan zu fliegen, war es für sie nicht nur eine Recherchereise. Es war auch eine Reise zurück in ihre alte Heimat. Als Kind habe sie ihre Heimat wunderschön erlebt, erzählt sie. „Ich bin in den 70er-Jahren geboren und in einer privilegierten, vermögenden Familie in Kabul aufgewachsen. Es war eine Art Goldenes Zeitalter, es herrschte Toleranz.“ Ihr Vater, eine einflussreiche politische Persönlichkeit, starb, als Shahalimi acht Jahre alt war. „Nach seinem Tod wurde uns nach und nach alles genommen. Meine Mutter bekam zu spüren, dass sie als Witwe nichts wert war. Geld und unser Geschlecht waren wie ein Fluch.“
Aufgrund von Drohungen beschloss die Mutter mit ihren vier Kindern zu flüchten. Nach Pakistan. Fünf Tage über die Berge. Mit Schleppern. Kaum Essen. Ohne Gepäck. „Diesen Fußmarsch habe ich als Kind eher abenteuerlich empfunden. Die Gefahren waren mir nicht bewusst.“ Nach einem Jahr in Pakistan konnte die Familie nach Kanada auswandern. Heute lebt Nahid Shahalimi mit ihren beiden Töchtern in München. Ende Jänner ist eine weitere Reise nach Kabul geplant, um Recherchen für die nächste Filmdokumentation anzugehen. «
- Buchtipp: „Wo Mut die Seele trägt. Wir Frauen in Afghanistan.“, Nahid Shahalimi. Elisabeth Sandmann Verlag, 2017. 25,70 €.
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