Wort zum Sonntag
Am Christi-Himmelfahrts-Tag 1922 feierte der Klosterneuburger Chorherr Pius Parsch mit etwa 200 Katholikinnen und Katholiken die erste „Gemeinschaftsmesse“. Neu war, dass er als Priester die Messe nicht unabhängig von den Gläubigen, sondern gemeinsam mit ihnen feierte.
Die Liturgie der Ostkirche hinterlässt bei vielen Menschen bleibende Eindrücke: goldene Gewänder der Priester, Diakone und Subdiakone, die hinter einer Bilderwand, der Ikonostase, verschwinden, um später wieder aufzutauchen. Mehrstimmiger Gesang, schlanke Wachskerzen, Weihrauchfässer mit Glöckchen. Kaum jemand würde meinen, dass Laien darin eine besondere Rolle spielen.
Der Klosterneuburger Chorherr Pius Parsch sah das Anfang des 20. Jahrhunderts anders. Als Militärseelsorger war er 1918 ein halbes Jahr in Kiew stationiert. Dort erlebte er – untypisch für einen katholischen Priester seiner Zeit – eine nächtliche Osterliturgie im orthodoxen Michaelskloster.
Die Erfahrung inspirierte ihn, wie er später in seinem Hauptwerk „Volksliturgie“ erwähnte: „Da stieg ein neuer Gedanke in mir auf, der allerdings erst nach einigen Jahren zur Reife kam: die aktive Teilnahme des Volkes.“ Der Liturgiewissenschaftler Daniel Seper weist auf den Zusammenhang der volksliturgischen Bewegung mit den Kiewer Erlebnissen von Pius Parsch hin.
Er gab als wissenschaftlicher Mitarbeiter gemeinsam mit dem Direktor des Pius-Parsch-Instituts in Klosterneuburg, dem Chorherrn Andreas Redtenbacher, einen Band über die Theologie des Liturgiepioniers Pius Parsch heraus.
Im römischen Ritus, den Pius Parsch gewohnt war, gab es eine Art Parallelwelt. Der Priester zelebrierte die Messe mithilfe von Ministranten allein – die eventuell anwesenden Laien beteten währenddessen Rosenkranz oder Messandachten.
Die meisten von ihnen verstanden weder die lateinisch vorgetragenen Lesungen noch die Gebete, die der Priester Richtung Osten gewendet sprach, wie Daniel Seper zu bedenken gibt. So sah Pius Parsch die Liturgie der Ostkirche als Vorbild: Chor und Kleriker singen dort einen Dialog, sie beziehen sich aufeinander. Das beeindruckte den Chorherrn aus Klosterneuburg. Als Soldatenseelsorger erlebte er großes Unverständnis und Desinteresse für Gottesdienste. Das wollte er ändern.
Für die neue „Gemeinschaftsmesse“ erarbeitete Parsch, teils gemeinsam mit Laien wie dem Komponisten Vinzenz Goller, neue Formen, etwa Gesänge in deutscher Sprache. Auch die Schrifttexte wurden auf Deutsch vorgetragen.
„Ein Vorbeter las Lesungen und Evangelium auf Deutsch, während der Priester sie in Latein las“, schildert Daniel Seper ein Element der frühen Volksliturgie. Pius Parsch verteilte die Rollen unter den Mitfeiernden. Dabei ging es ihm nicht um Beschäftigung der Menschen, sondern um echte Anteilnahme am Gottesdienst.
Ein großer Teil der Mitfeiernden trug liturgische Kleidung, die je nach Rolle und Aufgabe verschieden war. „Die liturgische Kleidung betonte auch das allgemeine Priestertum“, erläutert Daniel Seper. Dabei legte Parsch aber Wert darauf, dass die Rollen des Priesters und der Laien nicht verwechselt würden. Bereits damals herrschte die Sorge, dass die aktive Teilnahme des Volkes die Bedeutung des Priesters schmälern könnte.
Aus Hochachtung für die Bibel führte Pius Parsch nach ostkirchlichem Vorbild eine Evangelienprozession ein, zur Gabenbereitung erfand er eine Gabenprozession von Laien. Er ließ in St. Gertrud einen Volksaltar errichten, an dem er mit Blick zum Volk zelebrierte.
Die Kommunion durfte er nicht unter beiderlei Gestalten austeilen, daher führte er ein eigenes Weinritual mit nicht konsekriertem Wein für alle ein. Er gab Bibel- und Liturgiestunden, in denen er den Mitfeiernden die Inhalte der Liturgie im Vorfeld zugänglich machte. Für andere Priester in der Erzdiözese Wien erstellte er Handreichungen, damit die Neuerungen nicht auf die Kapelle St. Gertrud beschränkt blieben.
Dann begann er, zunächst gemeinsam mit dem Steyler Missionar Wilhelm Schmidt, erklärende „Klosterneuburger Messtexte“ herauszugeben und zu drucken. Der Verlag, den er dafür gründete, bot Arbeitsplätze in einer Zeit der grassierenden Arbeitslosigkeit.
Seine vielen Schriften zum besseren Verständnis der Bibel und der Liturgie wurden in zig Sprachen übersetzt und gingen in die ganze Welt. Das war auch der Grund dafür, dass später praktisch alle Konzilsväter die Arbeit von Pius Parsch kannten, wie Kardinal König feststellte.
So flossen die in St. Gertrud geübten Formen und Ideen in die Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils ein, ohne dass sich die Konstitution „Sacrosanctum concilium“ direkt auf die volksliturgische Bewegung bezog.
„Pius Parsch war zur rechten Zeit am rechten Ort“, resümiert der Liturgiewissenschaftler Daniel Seper. „Er hat den Menschen zugetraut, dass sie Liturgie feiern können. Das war nicht selbstverständlich.“
So hat Pius Parsch auch eine Botschaft für heute, obwohl seine wichtigsten Anliegen längst Eingang gefunden haben in Theologie und Liturgie. „Menschen und Liturgie müssen sich weiterhin einander annähern“, ist Seper überzeugt. „Die Menschen der Liturgie, aber auch die Liturgie den Menschen.“
Mit großer Wertschätzung für den hohen Stellenwert der Eucharistie spricht sich der Theologe für die Förderung und Entwicklung von verschiedenen Gottesdienstformen aus. „Es stellt sich die Frage, ob die Hochform der Eucharistie wirklich die Form ist, die den meisten Menschen zugänglich ist.“ «
„Wir nannten ihn alle Onkel Pius. Er war ein unglaublich liebenswürdiger Mensch. Jeden Sonntag nach der Messe und nach dem Frühstück in der Sakristei kam er zu uns zu Besuch. In unserem Haus waren russische Besatzungsoffiziere einquartiert, daher haben wir im Keller gewohnt. Onkel Pius hatte da einen Stammplatz. Meine erste Beichte habe ich bei uns zuhause bei ihm abgelegt. Als ich fertig gebeichtet hatte, hat er mit mir einen Freudentanz durch die Wohnung gemacht.
Meine älteste Schwester Lucia wurde in der ersten Osternachtsfeier in St. Gertrud getauft. Die Feier der Osternacht war damals nicht üblich, das war eine Neuerung. Seine Ideen haben sich überall herumgesprochen. Ich erinnere mich, dass einige Holländer im Noviziat waren in Klosterneuburg, die sind seinetwegen gekommen. Das hat im Stift aber nicht allen gefallen. Er wurde im eigenen Haus auch angefeindet. Er hat ja Dinge gemacht, die man damals nicht machte. Er war ein echter Vorreiter.“
Maria Tscherne, geborene Domanig, war das jüngste von acht Kindern und erinnert sich sehr gerne an ihre Kindheit, in der Pius Parsch eine prägende Persönlichkeit war. Die 81-jährige Klosterneuburgerin lebt seit vielen Jahren in Bad Ischl, wo sie sich gemeinsam mit ihrem Mann besonders in der Flüchtlingsarbeit engagiert.
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