Wort zum Sonntag
„Pacem in terris“ war die letzte Enzyklika des Konzilpapstes Johannes XXIII. Ist sie sein Vermächtnis?
Hubert Gaisbauer: Anlass für das Rundschreiben war die bedrohliche Lage Anfang der 60er Jahre, also mitten im Kalten Krieg: 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut, 1962 stand die Welt mit der Kubakrise am Rande eines Atomkriegs. Aber auf dem Sterbebett hat Johannes XXIII. ein kurzes Vermächtnis diktiert, in dem es heißt, die Kirche sei mehr denn je dazu aufgerufen, den Menschen schlechthin zu dienen – also nicht nur den Katholiken; es sei wichtig, die Rechte der menschlichen Person zu verteidigen. Johannes XXIII. war zudem von seiner ganzen Art her ein friedensstiftender Mensch. Man kann also sehr wohl sagen, dass „Pacem in terris“ sein Denken widerspiegelt. Er hat sehr darauf gedrungen, dass der Text noch vor seinem Tod veröffentlicht wird. Die Enzyklika ist dann im April 1963 erschienen, im Juni ist der Papst gestorben. Das große internationale Echo hat er noch wahrgenommen und es war ihm ein Trost.
Sie sagen „den Menschen schlechthin“. Tatsächlich ist „Pacem in terris“ die erste Enzyklika, die sich ausdrücklich „an alle Menschen guten Willens“ richtet. Erinnert das nicht stark an die Enzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus?
Gaisbauer: Zwischen diesen Rundschreiben sehe ich starke Verbindungen. Es sind ja beides „Sozialenzykliken“ in einem weiten Sinne. In „Laudato si’“ finde ich natürlich auch Anliegen wie den Umweltschutz, der für Johannes XXIII. ein halbes Jahrhundert vorher noch kein Thema war. Papst Benedikt XVI. hat übrigens seine letzte Enzyklika „Caritas in veritate“ auch „an alle Menschen guten Willens gerichtet“, die beiden Schreiben davor nicht. Es ist also auch eine Frage des Inhalts, an wen man sich wendet.
Wenn „Umweltschutz“ noch kein Thema für Johannes XXIII. war: Was ist heute noch aktuell an „Pacem in terris“?
Gaisbauer: Da ist erstens die internationale Zusammenarbeit, die Johannes XXIII. so wichtig war. Heute sehen wir die Haltung von manchen Staaten, sich aus Vereinbarungen wie das Pariser Klimaschutzabkommen oder aus Institutionen wie der EU zurückzuziehen, wenn einem etwas nicht gelegen kommt. Zweitens betont Johannes XXIII. die Verantwortlichkeit des Staates für den Einzelnen. Da geht es um die Unversehrtheit von Leib und Leben ebenso wie um eine angemessene Lebensführung – denken wir an die Diskussionen rund um die Mindestsicherung heute. Drittens und vor allem sind die Menschenrechte zu nennen, die Johannes XXIII. betont und dabei direkt die Erklärung der Menschenrechte durch die UNO angesprochen hat. Das war damals ein Sprung vorwärts: Der Idee der Menschenrechte, die sich rund um die Aufklärung und die Französische Revolution entwickelt hat, standen Päpste zuvor ablehnend bis kritisch gegenüber.
Was hat Sie beim erneuten Lesen besonders überrascht?
Gaisbauer: Das war die lange Passage über Flüchtlinge. Da heißt es zum Beispiel, es gehöre zu den Rechten der menschlichen Person, „sich in diejenige Staatsgemeinschaft zu begeben, in der man hofft, besser für sich und die eigenen Angehörigen sorgen zu können.“ Heute nennt man solche Menschen Wirtschaftsflüchtlinge. Johannes XXIII. schränkte zwar ein, das gelte, soweit es das wahre Wohl einer Gemeinschaft zulässt. Aber die grundsätzliche Haltung ist klar. Johannes XXIII. hat ja auch zur Konzilseröffnung gesagt, die Kirche sei eine Kirche aller, vor allem aber der Armen. Da ist wieder eine Verbindung zu Papst Franziskus.
Inwieweit ist es sinnvoll, diese beiden Päpste, deren Pontifikate doch rund 50 Jahre auseinanderliegen, miteinander zu vergleichen?
Gaisbauer: Da ich beiden in großer Bewunderung und Verehrung gegenüberstehe, muss ich mich ein bisschen bremsen. Aber ich denke, es gibt doch eine deutliche gemeinsame Basis, nämlich das Blicken „an die Ränder“. Johannes XXIII. war Professor in Rom und wurde von einem Tag auf den anderen erst nach Bulgarien und dann in die Türkei geschickt. Das waren damals die Grenzen Europas, auch konfessionell gesehen. In dieser Zeit hat er enorme Erfahrungen gemacht und ich wage zu behaupten, dass er ohne diese Erfahrungen das Konzil nicht einberufen hätte. Johannes war ja überzeugt davon, dass er die Welt besser versteht als jeder, der im Vatikan an einem Schreibtisch sitzt. Papst Franziskus wiederum kommt aus einer lateinamerikanischen Metropole mit all ihren sozialen Problemen.
Johannes XXIII. war nicht einmal fünf Jahre Papst. Er hat mit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils Geschichte geschrieben. Die weitgehende Durchführung lag dann bei seinem Nachfolger Paul VI., der heuer im Oktober heiliggesprochen wird. Wie groß ist dessen Bedeutung?
Gaisbauer: Johannes XXIII. hatte große Sympathie für Giovanni Battista Montini, wie Paul VI. als Kardinal hieß. Hätte er sich selbst einen Nachfolger aussuchen können, hätte er ihn gewählt. Weil Paul VI. das wusste, hat er das Konzil einigermaßen konsequent weitergeführt. Nur hatte er nicht in allen Punkten den Mut, gewissen Strömungen zu widerstehen. Von Johannes XXIII. heißt es, dass er keine Angst vor der modernen Welt gehabt habe. Paul VI. hatte diese Angst. Das ist eine alte kirchliche Krankheit und je nachdem, wie man damit umgeht, sieht auch der Weg der Kirche aus.
Die Zeit nach dem Konzil wird verschieden interpretiert: Für die einen ist es „im Sprung gehemmt“ worden, andere meinen, es würden nie geplante Revolutionen erwartet. Was sagen Sie?
Gaisbauer: Ich kann mit beiden Ansätzen wenig anfangen und denke eher, das Konzil muss weitergeschrieben werden. Der Streit um das Konzil hat sich nach den Familiensynoden auf den Umgang mit dem Schreiben „Amoris laetitia“ verlagert. Papst Franziskus zeigt sehr deutlich: Wir stehen auf dem Boden des Konzils, aber es ist geistig noch nicht abgeschlossen. Dasselbe gilt auch für „Pacem in terris“: Hier würde ich mir ein erneutes Lesen wünschen. Denn wir sollten Päpste nicht nur heiligsprechen, sondern uns auf ihre Vorschläge für das globale Zusammenleben besinnen. «
Zur Sache
Mit „Pacem in terris“ veröffentlichte Papst Johannes XXIII. vor 55 Jahren, am 11. April 1963, eine der bekanntesten Enzykliken des 20. Jahrhunderts. Im Untertitel heißt sie: „Über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit“. Der Papst, der das Zweite Vatikanische Konzil einberufen hatte, starb am 3. Juni desselben Jahres. Am 28. Oktober wird sich heuer die Wahl von Johannes XXIII. zum 60. Mal jähren.
UNO. Ein wichtiges Thema der Enzyklika sind die Menschenrechte, wobei Johannes XXIII. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (UNO) direkt anspricht. Deren Verkündigung am 10. Dezember 1948 wird heuer als 70-Jahr-Jubiläum gefeiert.
Prof. Hubert Gaisbauer, ehemaliger ORF-Journalist, ist heute ein geschätzter Publizist und hat sich eingehend mit Johannes XXIII. beschäftigt. Frucht daraus sind die Bücher „Ein Heiliger kann jeder werden. Lebendig glauben mit Johannes XXIII.“ sowie "Ruhig und froh lebe ich weiter. Älter werden mit Johannes XXIII:"
Wort zum Sonntag
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>