Wort zum Sonntag
Letztes Jahr in Boston (USA), heuer in Salzburg – der Internationale Rat der Juden und Christen wechselt für seine jährlichen Treffen Länder und Kontinente ab. Noch nie hat diese Konferenz von weltweit 35 Mitgliederorganisationen in Salzburg Station gemacht, und sie wird es nach Einschätzung des Tagungsvorsitzenden, Martin Jäggle, wohl auch nicht mehr tun.
Inhaltliche Bezüge gibt es in Salzburg aber viele. Über den Sommer gibt es eine Freiluft-Ausstellung am Marko-Feingold-Steg über die Geschichte des jüdischen Lebens in Salzburg. Zu Ehren des KZ-Überlebenden und langjährigen Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Salzburg, Marko Feingold, richtete die Universität Salzburg außerdem eine Gastprofessur für Antisemitismusforschung ein.
Auch in der Nachbarschaft liegt ein guter Grund, die Konferenz im Jahr 2024 in der Stadt Salzburg abzuhalten: die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut. Bad Ischl hat nämlich einen der prächtigsten Kalvarienberge des Salzkammerguts – ein beliebtes Ausflugsziel und Ort der Meditation und Ruhe über der Stadt.
„Dort kann eine sinnliche Form von Religiosität gelebt werden sowie eine volkstümliche Frömmigkeit ohne priesterliche Vermittlung“, wie es die Salzburger Theologin Elisabeth Höftberger ausdrückt. Doch zugleich waren die seit der Gegenreformation (nicht nur) im Salzkammergut verbreiteten Kalvarienberge auch Orte der antisemitischen Propaganda in Darstellungen und Liedern. Die Bad Ischler beschäftigen sich seit einiger Zeit mit dieser Geschichte. Eine Kunstinstallation im Rahmen der Kulturhauptstadt möchte sie umdeuten: vom Leidensraum zum Lebensraum – die Kalvarienbergkirche als Raum des Friedens. Neben den zahlreichen Vorträgen, Gesprächen und Gebeten unternehmen die Konferenzteilnehmenden aus Salzburg eine Exkursion nach Bad Ischl.
Der Internationale Rat der Juden und Christen wurde in den 1940er-Jahren als Antwort auf den Holocaust gegründet. Seine Konferenzen stellen die weltweit wichtigsten jüdisch-christlichen Dialogveranstaltungen dar, wie Martin Jäggle erklärt. Er ist nicht nur Konferenz-Vorsitzender, sondern auch Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich. Seit einigen Jahren kommen zur jährlichen Tagung nicht nur Dialogbereite aus Judentum und Christentum, sondern auch aus dem Islam zusammen.
„Die Auseinandersetzung und das Ringen zu den Themen der Konferenz sind wichtig für das gegenseitige Verständnis. Der Dialog braucht im Rahmen der Tagung nicht zu Ende zu kommen. Es braucht Zeit, es braucht das Zusammenkommen, den langen Atem. Als ob wir sagen würden: Bitte, versteh mich nicht zu schnell! Der Austausch ist ein echtes Hoffnungszeichen“, schildert Jäggle seine Erfahrung mit den interreligiösen Begegnungen. Die Konferenz, die diese Woche in Salzburg stattfindet, hat die Heiligkeit zum Thema. Ein Wort, das in den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Bedeutungen und Nuancen hat. Sich an Übersetzungsmöglichkeiten anzunähern, ist bereits Teil des Diskurses.
Inhalt der Gespräche sind also vor allem theologisch-philosophische Fragen, nicht die Tagespolitik. Dennoch bekommt der Krieg im Nahen Osten seinen Raum bei der Tagung, ein Abend ist dem Thema explizit gewidmet. Der 7. Oktober 2023, an dem Terroristen der Hamas 1.139 Menschen in Israel ermordet, mehr als 5.400 verletzt und 240 entführt haben, beeinflusste natürlich die Vorbereitung der Dialogtagung. Es war ein Schock, fasst es Martin Jäggle zusammen. Auch der rasant wachsende Antisemitismus weltweit schockierte die am Dialog Beteiligten.
„Wie kann der jüdisch-christliche Dialog nun weitergehen?“, fragten sie sich. Eines war schnell klar: „Wenn es eine Zukunft geben soll, müssen wir weiterarbeiten.“ Der Austausch, zwischen den Tagungen auch über Online-Kanäle, stärkt und motiviert die engagierten Persönlichkeiten.
Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich möchte Menschen zur gegenseitigen Begegnung einladen, er korrigiert Fehl- und Desinformationen über das Judentum und bekämpft Antisemitismus. Doch was ist antisemitisch in Kriegszeiten? Darf man den Krieg nicht mehr kritisieren, fragen sich viele. „Politik muss kritisierbar sein“, sagt Martin Jäggle. „Die Politik zu kritisieren ist nicht das Problem. Aber ab dem Augenblick, in dem ich das Land als solches kritisiere, ist es antijüdisch. Wenn ich die österreichische Politik kritisiere, stelle ich ja auch nicht Österreich als Staat infrage.“
Ob auch Palästina als Staat anerkannt werden sollte, beantwortet der Experte so: „Die Zwei-Staaten-Lösung ist die Perspektive, die der Vatikan immer vertreten hat. Ich sehe keine Alternative dazu. Aber zugleich ist es auch nicht die Lösung. Denn damit fangen viele Fragen erst an: Wie organisiert man zwei Staaten auf demselben Gebiet? Israel hat 21 Prozent arabische Bevölkerung. Soll es in Palästina auch einen jüdischen Bevölkerungsanteil geben oder nicht? Und wie wird man zusammenleben?“
Jäggle erwähnt eine Initiative von Eltern, die ihre Kinder im jahrzehntelangen Nahost-Konflikt verloren haben, das „Parents Circle Families Forum“. Palästinensische und israelische Eltern wollen gemeinsam die Gewaltspirale beenden. Mehr als 700 Mitglieder hat das Forum mittlerweile, Mitte der 1990er-Jahre wurde es gegründet. Martin Jäggle nennt es eine echte Friedensperspektive. Die Betroffenen erkennen auch die Opfer der jeweils anderen Seite an. Ihr Einsatz hat vielleicht etwas mit dem Titel der Salzburger Tagung zu tun – es ist eine heilige, weil heilende Initiative.
Der in Cambridge wirkende jüdische Theologe Edward Kessler ist mit dem Seelisberg Preis für Verdienste um den jüdisch-christlichen Dialog ausgezeichnet worden. Es war der Auftakt zur Jahrestagung des Internationalen Rates der Christen und Juden in Salzburg.
Preisträger Edward Kessler (Mitte) mit dem Fundamentaltheologen Gregor Maria Hoff und Liliane Apotheker, Präsidentin des Internationalen Rates der Christen und Juden.
Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit engagiert sich der 1963 geborene Kessler sozialpolitisch. 2022 gründete er eine Kommission für die Integration von Flüchtlingen in Großbritannien. Er schrieb zwölf Bücher mit Fokus auf den jüdisch-christlichen Dialog und hat zwei Erklär-Podcasts zum Glauben und zum Heiligen Land veröffentlicht („An A–Z of Believing“ und „An A–Z of the Holy Land“).
Der tschechische evangelische Theologieprofessor und frühere Schüler Kesslers, Pavol Bargár, würdigte den Preisträger. Er schlage Brücken zwischen dem universitären und dem religiösen Leben sowie zur Zivilgesellschaft und zu den Medien. Es gehe Kessler stets darum, „Menschen zusammenzubringen, um vertrauensvolle Beziehungen zu ermöglichen“, so Bargár.
In seiner Dankesrede unterstrich Kessler, dass der interreligiöse Dialog eine Antwort auf die Vielfach-Krisen darstellt. Den Dialog nicht abzubrechen, sondern zu forcieren, sei „ein Weg, heilig zu sein angesichts einer unheiligen, von religiösem Fundamentalismus, nationalistischem Chauvinismus und politischer Demagogie beherrschten Welt“, so Kessler.
Kessler erinnerte abschließend an seine österreichischen Wurzeln. Seine Eltern seien in Österreich geboren worden und hätten ihre Kindheit in Wien verbracht, bevor sie vor den Nationalsozialisten nach Großbritannien flohen. Bis heute habe er familiäre Kontakte nach Österreich.
Der Seelisberg Preis wurde heuer zum dritten Mal vom Internationalen Rat gemeinsam mit dem „Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen“ der Universität Salzburg vergeben.
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