Wort zum Sonntag
Was ist für Sie als Theologin das Faszinierende an Maria Magdalena?
Andrea Taschl-Erber: Dass diese Frauenfigur, die in der schönen Ostermorgengeschichte – im Johannesevangelium alleine, in den anderen Evangelien in einer Frauengruppe verortet – als Erste den Auftrag erhält, von dem Auferstandenen zu verkünden. Sie wird von ihm gesendet – das bedeutet, eine Apostelin zu sein. Im Mittelalter erhielt sie den Ehrentitel „Apostelin der Apostel“. Die Evangelientexte spiegeln uns, dass Frauen in dieser Anfangszeit der entstehenden Gemeinden eine wichtige Rolle spielten. Außer Maria, der Mutter Jesu, ist Maria von Magdala die Einzige, die in allen vier Evangelien genannt wird. Das heißt, sie dürfte eine bedeutende Frau im Umfeld Jesu gewesen sein, eine wichtige Nachfolgerin und Jüngerin. Nach der Passion, nach der Krise des Karfreitags, wo alles verloren schien, geht die Jesus-Bewegung mit ihrer Verkündigung weiter.
War sie eine wohlhabende Frau?
Taschl-Erber: Wir erfahren aus den Bibeltexten wenig über sie, auch nicht, ob sie eine vermögende Frau gewesen ist. Wenn man sich die Jesus-Bewegung sozialgeschichtlich anschaut, so ist sie eine, die von unten gekommen ist und die unteren Schichten der Gesellschaft erfasste. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass in diesen ersten Kreisen der Wanderbewegung Jüngerinnen mit Vermögen dabei gewesen sind. Was ihren Beinamen betrifft, so gehe ich nach wie vor davon aus, dass er auf ihren Herkunftsort hindeutet – Maria, die aus Magdala kommt. Das heißt, sie muss diesen Ort verlassen haben, denn sonst macht es keinen Sinn, jemanden nach dem Ort zu benennen.
Weiß man, ob sie alleinstehend war?
Taschl-Erber: Auffällig ist, sie wird nicht genannt: die Ehefrau des …, die Tochter des …, die Schwester des … oder die Mutter des …, wie wir es bei vielen anderen Frauen im Neuen Testament ganz typisch haben. Aber wir wissen nichts über ihren Familienstand. Es ist eine auffällige Lücke und könnte bedeuten, dass sie sich von ihrer Familie getrennt hat, um sich Jesus anzuschließen. Das bedeutet aber nicht, dass sie wirklich alleinstehend gewesen wäre. Wir wissen nicht einmal, wie alt sie ist. Man hat aufgrund der Kunstgeschichte immer diese junge schöne Frau vor Augen, aber sie könnte auch eine Generation älter als Jesus gewesen sein.
Warum wurde sie zur Sünderin?
Taschl-Erber: Das ist das Ergebnis einer über die Jahrhunderte gewachsenen Auslegungsgeschichte. Durch die Verschmelzung verschiedener biblischer Frauenfiguren ist ein Bild von ihr konstruiert worden, das nicht ganz zufällig bestimmten Interessen diente. Die grundsätzliche Frage lautete: Wenn gilt, dass Frauen schweigen sollen, wie es in den Paulusbriefen steht – obwohl wir nicht wissen, ob die betreffenden Passagen tatsächlich von ihm stammen –, warum sind Frauen die Ersten gewesen, denen Jesus einen Verkündigungsauftrag gab? Das ist ein fundamentaler Widerspruch, der sich aus den neutestamentlichen Texten selber ergibt. Es wurde in Folge der Sündenfall ins Spiel gebracht – Eva als die Sünderin schlechthin und generell Frauen als Sünderinnen. Dieses Muster ist dann auf die Frauen am Ostermorgen übertragen worden: Weil „die Frau“ etwas wiedergutzumachen hätte, erschien ihr Jesus als Erster.
Welche Bibeltexte hat man da zusammen gelesen?
Taschl-Erber: Im Lukasevangelium (8,2) gibt es die Notiz von Maria Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren sind; davor wird in Lukas (7,36–50) von einer Sünderin erzählt, die Jesus die Füße mit Öl salbt. Im Johannesevangelium (12,1–8) ist von einer Maria in Betanien die Rede, die auch Jesus die Füße salbt. Aus verschiedenen Geschichten in den Evangelien wurde dann eine einheitliche Frauenfigur konstruiert und ein Bild der sündigen Maria Magdalena gebastelt, die sich zu Jesus bekehrt und zu Gott gefunden hat. Man muss dazu sagen, es war ein sehr beliebtes Bild, das sich über das Mittelalter hindurch sehr stark verfestigte, z. B. über Passionsspiele und Legenden, und es war damals auch ein beliebtes Predigtmodell von Wanderorden, die das Bild der reuigen Sünderin den Leuten vor Augen gehalten haben. Insofern hat sich das in das allgemeine Gedächtnis eingebrannt. Aber die reuige Sünderin war sie nicht.
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