Wort zum Sonntag
Um die Reaktionen der katholischen Kirche nach 1945 zu verstehen, muss man unterscheiden. Die Hoffnungen der Bischöfe aus dem Jahr 1938, dem NS-Regime gewissermaßen entgegenzukommen und auf einen Modus Vivendi zu hoffen, waren gründlich enttäuscht worden. Kirchliche Feiertage wurden abgeschafft, sämtliche katholischen Vereine verboten und der Klerus verfolgt.
Bei den Priestern sah die Lage anders aus. Die katholischen Priester gehörten – nach den Eisenbahnern – zu der am meisten verfolgten Berufsgruppe. Alleine in der Diözese Linz waren mehr als 100 Priester in KZ-, Straf- oder Polizeihaft. Aber das rechtfertigt noch keineswegs die Aussage, die Kirche wäre im Widerstand gewesen. Außerdem gab es Priester (wenn auch lediglich einige wenige), die die Freude über den „Anschluss“ an das Deutsche Reich offen artikuliert hatten.
Hier soll also der Frage nachgegangen werden, wie die Priester zu Kriegsende 1945 reagierten. Da genauere Studien dazu nur über Mühlviertler Pfarren vorliegen, bleiben Pfarren der amerikanischen Besatzungszone (und damit aus dem Süden Oberösterreichs) im Folgenden ausgeklammert (siehe aber als Beispiel aus dem Innviertel die Pfarrchronik aus Mühlheim am Inn im Kasten unten).
Vorweg: Für politische Reflexionen war direkt nach Kriegsende im Mühlviertel nicht viel Gelegenheit.
Die ersten Reaktionen der Pfarrer im Mühlviertel waren – wie die von der Bevölkerung auch – von Angst und Schrecken geprägt. Das Eintreffen der Alliierten hatte ja erst den „Krieg“ in die Orte gebracht. Die letzten Verteidigungsschlachten versprengter SS-Einheiten gegen Amerikaner oder Russen bzw. die „Begegnungen“ mit sowjetischen Soldaten waren vielfach traumatisch. Am 3. April 1945 wurde in Tattendorf (NÖ) der Augustiner-Chorherr Alois Kremar, der sich im Pfarrhofkeller schützend vor Mädchen gestellt hatte, von sowjetischen Soldaten erschossen.
In den ersten Maitagen des Jahres 1945 geht es im Mühlviertel vorwiegend um existenzielle Dinge. Man war besorgt, „dass der Russe vielleicht schon in wenigen Tagen hier sein kann“, und andere meinten, es sei alles gleich, ,,wenn nur Schluss ist“, und wenige Tage später: „Heute war die Bevölkerung in Erwartung der Amerikaner. Die Bevölkerung fiebert. Sie möchte von dem Alpdruck, der seit Wochen auf ihr lastet, frei werden.“ In Alberndorf äußert der Pfarrer: „Jetzt haben wir am Kirchturm die weiße Fahne gehisst, nachdem es gestern schon an fast allen Privathäusern geschehen ist. Wohl alle sehnen die Erlösung herbei.“
Einige Wochen später werden die Kommentare differenzierter. In St. Oswald bei Haslach notiert der Pfarrer: „Die Naziherrschaft ist zusammengekracht. Nun brauche ich die nur für ihre Augen hergerichtete Chronik nicht weiterführen und brauche die wirkliche Chronik nicht mehr verbergen.“ In St. Oswald bei Freistadt mahnte der Pfarrer den Charakter des kirchlich gebotenen Festes der hl. Petrus und Paulus mit dem Argument ein: „Wir haben alle gesehen, wohin das deutsche Reich mit seiner systematischen Feiertagsentheiligung gekommen ist. Die Kirche hat diese Feiertage nie abgeschafft. Sie ist nur der Gewalt aus Klugheit gewichen.“
In Alberndorf nimmt der Pfarrer die österreichischen Soldaten in Schutz und kritisiert die Entnazifizierung: „Im Radio erklärte ein junger russischer Offizier, von den österreichischen Soldaten seien manche auch nicht gut gewesen. So müssen jetzt Unschuldige leiden für die Gemeinheiten der Nazi – eine teuflische Gesellschaft. Immer klarer, welch unvorstellbare Gemeinheit in dieser Bewegung lag. Die KZ offenbaren entsetzliche Gräuel. Jetzt möchten selbst illegale Nazi niemals Nazi gewesen sein. Der ehemalige Ortsbauernführer A. meinte, nun könne man endlich wieder in die Kirche gehen. Bodenlose Heuchelei.“
Jene Priester, die nach Kriegsende aus NS-Haft oder KZ zurückgekehrt waren, fanden noch viel deutlichere Worte. P. Konrad Just OCist stellte – aus dem KZ Dachau zurückgekehrt – nüchtern fest: „Die Heimat enttäuscht uns mancherseits. Die Heimat hat zum Teil nichts oder sehr wenig gelernt. Wir verlangten keinen Triumph oder sonst dergleichen. Aber nicht einmal die Aufmerksamkeit, die man Bettlern schuldig ist aus christlicher Liebe, fanden wir mancherorts. Manche schlafen noch! Das war eine bittere Enttäuschung für uns.“
Anton H. Hollin OPraem war in NS-Haft gewesen und wollte nach 1945 wieder zurück in „seine“ Pfarre Oepping. Er setzte seine Bemühungen darum bis ins Jahr 1948 fort und schrieb seinem Abt: „Ich denke an Oepping nicht so sehr wegen meiner Person, sondern aus edleren Gründen: 1) Es gibt in Österreich ein Antinazigesetz, um Unrecht gutzumachen, welches verlangt, dass politisch Verfolgte wieder in ihre Stelle zurückgeführt werden müssen. Brauchen wir Geistliche die weltliche Hilfe für Recht, Gerechtigkeit und Liebe zum Mitbruder?“
Pfarrer Hermann Kagerer, dem nach 1945 aufgrund seiner Haftzeit eine monatliche Entschädigung aus dem Opferfürsorgegesetz zugesprochen wurde, sah sich plötzlich vor die Tatsache gesetzt, dass als Folge dieser Zahlung nun die Diözesanfinanzkammer (DFK) sein Priestergehalt kürzte. Erbost schrieb er an die kirchliche Finanzbehörde einen bitterbösen Brief und fragte: „War ich im KZ oder die DFK?“
Die kirchlichen Reaktionen nach 1945 zum Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus tragen starke Züge von „Hauptsache vorbei“. Ferdinand Klostermann resümiert: „Ein reines Heldenlied ist die Geschichte des kirchlichen Kampfes gegen den NS-Staat und die NSDAP gerade nicht. Die Unterscheidung der Geister zwischen Klugheit und Tapferkeit gelang nicht immer.“ Ernst Hanisch geht noch einen Schritt weiter: „Die dominante Leitlinie der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus nach 1945 war auf allen Ebenen vom Stichwort ,Versöhnung‘ geprägt. Heute wissen wir, daß eine vielfach faule Versöhnung gewählt wurde. [...] Die katholische Kirche unterlag wie die österreichische Bevölkerung insgesamt dem psychischen Druck, sich von der konkreten Erinnerung [...] zu lösen und sich eine bequemere Wirklichkeit zurechtzuzimmern [...] mit der sich besser leben ließ.“
Der Autor dieses Beitrags, Helmut Wagner, ist Historiker, Theologe und Verleger. Er ist unter anderem Autor des Standardwerks für Oberösterreich „Der NS-Kampf in den Pfarren“ (1998). Herausgegeben hat er zudem „Das Stift Schlägl und seine Pfarren im Dritten Reich“ von Johann Großruck (1999).
Franz Neuner, Pfarrer in Mühlheim von 1926 bis 1957, schrieb:
„Der Krieg ging dem Ende zu. Die Niederlage Deutschlands trat handgreiflich in Erscheinung. Am 2. Mai hieß es, der Amerikaner steht in Frauenstein. Am Abend desselben Tages wehten in Mühlheim von allen Häusern, auch vom Kirchturme, die weißen Fahnen.
Donnerstag, den 3. Mai, nach der heiligen Messe, ½ 8 h a. Z. entstand beim letzten Evangelium in der Kirche eine kleine Panik. Die Amerikaner waren da. Bei Rinner’s Gasthaus war eine amerikanische Vorhut angelangt. Ich ließ die Kirche schließen und begab mich ruhig nach Hause. Ein Trupp Amerikaner durchzog langsam den Ort. Bei Mair’s Gasthaus war Halt gemacht. Es ging alles ganz ruhig vor sich. Keinen Menschen wurde ein Haar gekrümmt. An diesem und den folgenden Tagen kam eine ungeheure Anzahl amerikanischer Last- und Personenautos mit Soldaten und Kriegsmitteln durch, die von Frauenstein, wo der Innübergang erfolgt war, nach Obernberg – Ried fuhren. Durch das Volk geht jetzt ein Gefühl der Erleichterung: der Krieg ist zu Ende.“
Die Abschrift ist auf der Pfarrhomepage dokumentiert:
Wort zum Sonntag
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