Wort zum Sonntag
„Vergiss nicht das Gute, das er dir getan hat.“ Diesen Vers aus Psalm 103 haben Sie beim Amtsantritt als Bischof und zuletzt auch den Delegierten beim Diözesanforum in Erinnerung gerufen. Was ist „das Gute“, das wir nicht vergessen sollten?
Bischof Manfred Scheuer: Hier geht es nicht um ein moralisches Gebot im Sinne von „Du musst an das Gute denken“, sondern um Dankbarkeit. Sie lässt mich das Leben als wertvoll erfahren, dass ich gemocht bin und dass ich selbst lieben kann. Was da ist an Beziehungen, Freundschaften, an Hilfe, Begleitung, Solidarität und Aufgefangenwerden, das darf ich wahrnehmen. Wenn ich mich ständig auf das fixiere, was ich nicht habe, wenn ich mich nur auf die Mängel oder Fehler der anderen fixiere, dann wird Leben weggeworfen.
Das gilt wohl nicht nur in persönlichen Bezügen?
Scheuer: Ja. Man merkt es im Bereich der Ehrenamtlichen in der Kirche und auch in anderen Berufen, wie wichtig eine Kultur der Dankbarkeit ist. Es gilt, wahrzunehmen, wofür sich jemand einsetzt und welchen Preis jemand dafür zahlt, an aufgewendeter Zeit zum Beispiel. Dass manche Berufe inzwischen zu Mangelberufen werden, hängt damit zusammen, dass sie zu wenig Wertschätzung bekommen, dass ein Danke oft schwer, die Kritik aber umso rascher über die Lippen kommt. Es geht mir nicht darum, Kritik abzuschaffen, aber kein Mensch kann nur von der Kritik leben. Wie Kinder brauchen auch Erwachsene Dankbarkeit und Wertschätzung.
Beziehen Sie das auch auf die Politik?
Scheuer: Durchaus. Ich erfahre das bei Begegnungen in der Kommunal- und Landespolitik. Ein Umgang, der von Respekt und Wertschätzung geprägt ist, ist für jeden wichtig. Wenn das öffentliche Klima da kippt, wird es schwierig.
Tun sich Menschen heute zu schwer mit dem Guten – und ist man zu sehr auf Fehlersuche aus?
Scheuer: Ich erlebe unterschiedliche Typen. Die einen sagen, sie wollten nichts geschenkt haben und wollten auf niemanden angewiesen sein, sich also niemandem verdanken. „Ich will nicht abhängig sein“, meint das. Wir tun uns nicht so leicht, das Gute als gut anzunehmen. Ein Like im Internet bedeutet noch keine innere Verbindlichkeit. Ja, Fehler muss man aufspüren, Unrecht ist zu kritisieren. Aber wenn ich eine Maschine auseinandernehme, alle Fehler gefunden habe und die Maschine nicht auch wieder zusammenbaue, funktioniert sie nicht mehr. Wenn ich einen Menschen nur „zerlege“, sodass nichts Gutes mehr bleibt, kann er nicht leben. Eine Operation ist vielleicht notwendig, aber zum Gesundsein braucht es mehr.
In vier Dekanaten waren Sie 2019 ausführlich auf Besuch (Perg, Eferding, Bad Ischl und Mattighofen). Was haben Sie an Gutem erlebt?
Scheuer: Ich habe gar nicht wenige Menschen erlebt, die sich für andere einsetzen – für Flüchtlinge zum Beispiel. Dieser Einsatz ist in vielen Pfarren etwas Besonderes. Das verdient Wertschätzung. Ich habe auch erlebt, mit welcher Begeisterung oft Kinder am Werk sind – beim Ministrieren oder Sternsingen etwa – und wie sie sich ganz stark für andere einsetzen. Das finde ich gut. Hier spüren Kinder: „Man braucht mich. Ich gehöre dazu. Ich kann was.“ Ich habe lebendiges Brauchtum erlebt, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Kirchenjahr. Da geht es nicht nur um Bräuche, es schafft auch so etwas wie Heimat und Zugehörigkeit im Glauben. Was ich auch als schön erfahren habe, ist der Bereich Kunst, Musik und Raum. Die Oberösterreicher haben viel Gefühl für die Schönheit der Kunst oder auch der Natur. Viele Leute schöpfen daraus Lebensfreude und Nahrung für die Seele.
Und der Bereich Pflege. Ich staune, was da geleistet wird: von Angehörigen, aber auch den Pflegepersonen aus Osteuropa. Wir haben Alten- und Pflegeheime besucht. Da relativieren sich manche Prioritäten.
Zum 65. Mal wird es in Ihrem Leben jetzt Weihnachten. Wie hat sich das Erleben gewandelt?
Scheuer: In der Kindheit war es die Freude auf das Fest. Die Mette war noch um Mitternacht, Weihnachten war mit Essen, Keksen und Bratwürsteln verbunden – und „Stille Nacht“. In der Internatszeit im Petrinum war es die Freude auf das Heimfahren. Da haben wir darauf hingelebt. Ab dem Berufseinstieg war ich zu Weihnachten nicht mehr daheim. Im Priesterseminar, als Seminarist und später als Spiritual, habe ich Weihnachten als sehr schön erlebt. Es bedeutete viel weniger Termine. Seit ich Bischof bin, erfordert Weihnachten vielfältige Präsenz, auch medial. Da geht mir manchmal fast die Luft aus.
Alles in allem habe ich den Eindruck, dass die Gesamtatmosphäre bezüglich Weihnachten säkularer geworden ist. Nicht so verändert hat sich jedoch die soziale Dimension. Alle Hilfsorganisationen und die Medien werden humanitär tätig. Ich finde es gut, dass hier viele Kräfte mobilisiert werden.
Sie feiern Weihnachten auch mit Obdachlosen.
Scheuer: Als Bischof bin ich zu Weihnachten in Gefängnissen, im Hospiz und ich bin auch mit Obdachlosen beisammen. Da erlebe ich, wie wenig Leute oft brauchen, um feiern zu können, dass es aber nicht wenige gibt, die nichts zu feiern haben oder die innerlich dazu nicht in der Lage sind. Der Blick auf diese Menschen ist mir wichtig. Damals in Bethlehem waren die äußeren Umstände um die Botschaft „Ich verkünde euch eine große Freude“ ja auch nicht so erfreulich.
Wenn wir uns eine Weihnachtskrippe vorstellen: Was wäre der Platz, an dem Sie sich im Krippengeschehen sehen?
Scheuer: Im Gefängnis; besonders in der Notschlafstelle in Linz, habe ich mich einmal dem Krippengeschehen ganz nahe gefühlt. Doch manchmal bin ich so viel unterwegs, dass ich nicht mehr so genau weiß, wie nahe ich eigentlich daran bin – oder wie fern. Und manchmal hatte ich im innerkichlichen Betrieb das Gefühl: Wie weit sind wir denn da jetzt wieder weg? Es geht hier grundsätzlich um die Beziehung zum Leben Jesu. Da haben Jugendliche sicher einen anderen Zugang als Ältere.
Wer um die vielen Anlässe weiß, bei denen Sie das Wort ergreifen, Stellung beziehen oder auch predigen, ist erstaunt und fragt sich: Woher kommt das alles? Gibt es da nie eine Krise oder „Wortlosigkeit“?
Scheuer: Die Erfahrung der Wortlosigkeit mache ich oft – oder auch die der Krise: Jetzt kommt gar nichts. Etwas halbwegs Vernünftiges braucht ein inneres Wachstum, Beschäftigung und ein Sicheinlassen. Da geht die Zeit oft ab, und manchmal bin ich auch erschöpft. Die Wortlosigkeit wird dann massiv. Früher konnte ich einen Vortrag oder eine Predigt länger vorbereiten, jetzt muss manchmal eine halbe Stunde reichen. Es hilft aber: Ich habe gute Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Zum anderen: Ich habe die Erfahrung aus 40 Berufsjahren und muss nicht gleich nervös werden, wenn ich noch nichts habe. Da kann ich auch zurückgreifen auf etwas, was ich früher erarbeitet habe. Das kann man natürlich nicht immer machen. Doch die Arbeit vergangener Zeiten entlastet auch. Gerade zu Weihnachten ist es schwierig, jedes Jahr denselben Leuten, auch Medien, etwas Neues zu sagen. Doch es ist mir schon öfter so gegangen, dass ich gerade dann eine Begegnung haben durfte, die mir eine Anregung geschenkt hat.
Mit dem „Stille Nacht“ geht aus den Kirchenräumen eine erlösende, frohe Melodie hinaus in die Welt. Was verbinden Sie damit?
Scheuer: Das „Stille Nacht“ ist vom Text her nicht hochtheologisch, doch es spricht Dimensionen an: „Jesus in deiner Geburt“ heißt es. Hannah Arendt schrieb von der „Geburtlichkeit“: Es sei ein Neuanfang, ein Wunder; es ist die Einmaligkeit, die da zu Weihnachten aufgeht.
Als Franz von Assisi 1223 in Greccio Weihnachten gefeiert hat, hat er eine lebendige Krippe gemacht, damit die Leute anschaulich erleben konnten, was damals, zu Jesu Geburt, war. Und dann heißt es: Von diesem Geschehen ging Heilung aus – für Menschen und für Tiere. Diese Sehnsucht nach Heilung ist heute auch da. Verwundet und verletzt sind viele. Dazu kommt die Botschaft vom Frieden. Natürlich: Wir haben uns an 74 Jahre Friedenszeit gewöhnt. Doch was Vergebung und Versöhnung bedeutet, ist nach wie vor nicht einfach.
Und: Das „Stille Nacht“ ist nicht laut. Das erste Wort ist „Stille“. Man kann es nicht plärren, es spricht die leiseren Töne an. Ist es nicht faszinierend, wie die Leute bis heute erzählen, was von diesem Geschehen in Bethlehem ausgegangen ist? Wie konnte dieses Geschehen eine so universelle Bedeutung erhalten? Das ist mehr als erstaunlich.
Das kommende Jahr soll für die Diözese Linz die Entscheidung über den Zukunftsweg bringen. Mit welcher Erwartung gehen Sie in dieses Jahr?
Scheuer: Ich glaube an Wunder, und ein Wunder wird es sein, wenn wir in den nächsten Jahren einen Weg gehen, der uns beieinanderhält und auf dem wir miteinander können und wollen. Jedes Leben und jedes neue Leben ist ein Wunder, ein Geschenk. Ich erwarte für 2020 als Geschenk, dass uns etwas gelingt – sicher anders, als wir uns das manchmal ausdenken oder wie es Forderungskataloge manchmal beinhalten. Ich erwarte, dass es Menschen in Oberösterreich zum Geheimnis Gottes hinzieht.
Wort zum Sonntag
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