Wort zum Sonntag
Wenn Johannes Fellinger auf das renommierte Institut für Sinnes- und Sprachneurologie schaut, das er 1991 mit einer Gehörlosenambulanz begonnen hat und das heute rund 350 Mitarbeiter:innen zählt, sagt er: „Nichts von alledem war geplant. Ich habe mich einfach von meinen Patienten betreffen lassen und bin ihren Nöten gefolgt.“
Das waren zu Beginn die gehörlosen Menschen, deren Krankheiten die Medizin oft hilflos gegenüberstand, weil sie sich bei den Behandlungen nicht verständlich machen konnten. „Patient taubstumm – Anamnese nicht möglich.“ Diesen Satz auf Krankengeschichten gehörloser Patienten konnte und wollte der damals noch junge Arzt nicht einfach hinnehmen. Manche gehörlose Menschen waren oft lange Zeit nicht mehr beim Arzt gewesen. Es hatte sich bald herumgesprochen, dass es bei den Barmherzigen Brüdern in Linz einen Arzt gibt, der die Gebärdensprache beherrscht. Fellinger hatte nämlich einen gehörlosen Vater. Die Barmherzigen Brüder unter ihrem damaligen Prior P. Wolfgang Mösslacher haben das Engagement für Gehörlose in ihrem Konventhospital von Anfang mitgetragen. Seit 1993 beteiligte sich das Land Oberösterreich finanziell am Projekt, was als offizielle Geburtsstunde der Gehörlosenambulanz gilt.
Neben den körperlichen Beschwerden gehörloser Menschen wurden in Fellingers Ambulanz bald auch soziale Probleme aller Art zum Thema. So errichtete er Tagesstrukturen, wo die Besucher:innen miteinander kommunizieren konnten und aus denen die Lebenswelten Schenkenfelden, Pinsdorf und Wallsee entstanden.
Diese Arbeits- und auch Wohnwelten schaffen „Lebensfreude durch Gemeinschaft, Gemeinschaft durch gemeinsame Sprache, Verstehen durch Gebärdensprache und Entwicklung durch Verstehen“, heißt es in der 20-Jahr-Festschrift der Lebenswelt Schenkenfelden.
„Viele Gehörlose werden unter ihrem Wert geschlagen“, betont Primar Fellinger. Die Behörden haben auch nach und nach Eltern mit gehörbeeinträchtigten Kindern geschickt, die zum Beispiel mit den Aggressionen ihrer Kinder nicht zurechtkamen. Die Betreuung der Kinder bildet inzwischen einen eigenen Schwerpunkt. Dazu gehört besonders das Autismus-Kompetenzzentrum, in dem nicht nur reger Betrieb herrscht, sondern das auch große Beachtung bei den Betroffenen und in der Fachwelt findet.
Das Institut für Sinnes- und Sprachneurologie ist derart weit verzweigt, dass seine Ziele und Aufgaben hier nur stichwortartig umrissen werden können. Angelpunkte sind die Unterstützung der Entwicklung von Menschen mit Hör-, Kommunikations- und Sprachstörungen und die Förderung der Gesundheit vor allem hörbeeinträchtigter Menschen. Dazu sollen barrierefreie medizinische Angebote beitragen. Die Lebenswelten ermöglichen Gehörlosen Gemeinschaft und Bildung. Neben den drei bestehenden Lebenswelten ist bereits ein weiteres Zentrum für Straßwalchen bewilligt. Die eigene Fachschule Vis.com bildet für die dringend benötigten Sozialbetreuungsberufe aus und vervollständigt mit dem Forschungsinstitut für Entwicklungsmedizin das Mosaik, das sich hinter dem sperrigen Begriff des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie verbirgt.
Fragt man Primar Johannes Fellinger, was das Institut zusammenhält, zitiert er einen Satz, den Altbischof Maximilian Aichern 1993 bei der Einweihung der Gehörlosenambulanz gesagt hat: „Das ist ein Werk der Liebe Jesu.“ Seither begleitet ihn dieses Wort und er erläutert: „Das Institut ist nicht mein Werk, es ist nicht das Werk meines Nachfolgers Johannes Hofer, sosehr ich mich freue, dass ich es an ihn weitergeben darf. Und es ist auch nicht das Werk der Barmherzigen Brüder, obwohl sie die Träger sind.“
Primar Fellinger sagt mit Nachdruck: „Wir müssen uns in all unsrem Tun an der Liebe Jesu orientieren.“
Seine Beziehung zu Jesus wird auch in dem Buch deutlich, das bei seinem Abschiedsfest am 17. Jänner präsentiert wird. Gemeinsam mit seinem Freund Kardinal Christoph Schönborn hat der freikirchliche Christ Johannes Fellinger Meditationen zu Arbeiten seines Schwiegervaters und gehörlosen Künstlers Helmut Michael Berger verfasst. Ein Flügelaltar Bergers steht im Audienzzimmer von Kardinal Schönborn. Dieser wird bei der Vorstellung des Bildbandes „Meine Augen haben das Heil gesehen. Auf Jesus schauen mit Helmut Michael Berger“ in Linz anwesend sein, einen Tag vor seiner eigenen Abschiedsfeier in Wien.
Bei den Barmherzigen Brüdern sieht Primar Fellinger das Institut am richtigen Platz. Und die sehen das genauso. Die Brüder beschreiben ihren Ordensauftrag mit dem Begriff „christliche Gastfreundschaft“. „Das ist gelebte christliche Gastfreundschaft“, sagte Frater Engelbert Raab schon vor Jahren bei einem Festakt im Blick auf das Institut für Sinnes- und Sprachneurologie: „Wir sind aufgefordert, professionell und kreativ auf die heutigen Nöte zu reagieren und dort tätig zu werden, wo unser Sozial- und Gesundheitssystem nicht greift.“
Eine der Kreuzesdarstellungen von Helmut Michael Berger, die Kardinal Christoph Schönborn und Johannes Fellinger in ihrem Buch beschreiben und meditieren.
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