Wort zum Sonntag
Trump, Putin, Ukraine, Rezession, Rüstung – es scheint, als ende eine für uns glückliche Zeit. Beim spätantiken Autor Boethius sagt das Schicksal, man habe kein Recht, sich zu beschweren, wenn einem das Glück entzogen wird; vielmehr solle man dankbar sein, es gehabt zu haben. Ist das unsere Situation?
Manfred Scheuer: In mancher Hinsicht hat man heute den Eindruck, dass Sicherheit und Gewissheit zerbröseln. Worauf Menschen gesetzt haben, trägt auf einmal nicht mehr. Anders als wir mathematisch-technisch orientierte Zeitgenossen haben Menschen der Antike Sicherheit und Gewissheit in tragfähigen Beziehungen, in der Gemeinschaft gesucht. Heute gelten Versicherungen zu Recht als Errungenschaften des Sozialstaats. Aber ohne tragfähigen Generationenvertrag, ohne diese menschliche Beziehung finden wir auch heute nicht das Auslangen.
Nichts ist selbstverständlich, auch das Leben selbst nicht. Ich habe in den letzten Monaten mehrfach erfahren, dass vertraute, liebe Menschen gestorben sind. Ich bin dankbar für die gemeinsame Zeit, aber auch traurig, weil sie vorbei ist.
Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens. Sie lässt mich nicht vergessen, was ich Gutes erfahren habe. Deshalb ist die Dankbarkeit Fundament des Lebens und Glaubens: Ich darf mit der Erfahrung leben, dass ich gewollt bin, dass mein Leben bejaht wird.
Der erwähnte Autor Boethius war Christ. Doch in seinem Werk „Trost der Philosophie“ argumentiert er rein philosophisch. Ist die Überzeugung, dass Gott da ist und mich liebt, der „Trost des Glaubens“?
Scheuer: Ich möchte Philosophie und Theologie nicht derart auseinanderhalten. Was ist Trost? Ich habe in diesen Tagen wieder den „Messias“ von Georg Friedrich Händel gehört. Da wird zu Beginn Jesaja (40,1) zitiert: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Das ist hineingesprochen in die Erfahrung des Babylonischen Exils, in dem der Tempel und alle Sicherheiten des Volkes Israel zerstört sind. Und doch gibt es die Zusage: Du wirst leben, du sollst leben. Solche Erfahrungen sind uns immer wieder geschenkt. 1942 hat der jüdische Religionsphilosoph Schalom Ben-Chorin geschrieben: „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“ Gerade zu Ostern kann ich das Aufblühen der Natur als Fingerzeig erfahren, dass Leben und Lieben Bestand haben. Auch Freundschaften, Gemeinschaften und Beziehungen sind solche Fingerzeige. Sie öffnen eine andere Dimension des Lebens. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Gott kann mit den Toten – auch mit dem Toten in mir – Neues anfangen.
Es heißt, die Geschichte sei eine Lehrerin. Ostern 1945 fiel in die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Hier Durchhalteparolen und Endphase-Verbrechen, dort die anrückenden Siegermächte: Kann oder soll man etwas daraus lernen, dass Menschen diese Zeit überstanden haben?
Scheuer: Ich bin zurückhaltend, aus Erfahrungen dieser Zeit Trost zu ziehen. Denn ich möchte sie nicht für meine Zwecke und Absichten einspannen. Der Abgrund ist zu groß, zu viele Menschen sind zugrunde gegangen, zu viel wurde zerstört. Was geschehen ist, war barbarisch, menschenverachtend. So viele haben diese Zeit nicht überstanden.
Wenn man Hoffnung sehen will, dann am ehesten darin, dass die Barbarei nicht gesiegt hat, dass nach dieser Zeit in Österreich Menschen und auch politische Gruppen zusammengefunden haben mit dem Willen: Wir gestalten die Gesellschaft demokratisch, wir bauen das Land wieder auf. Aber es ist und bleibt verhängnisvoll, dass wir nicht ohne die Erfahrung des Holocaust zur Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 gekommen sind. Hinter diese Erklärung dürfen wir nicht zurückzufallen, sondern wir müssen sie in neuen Kontexten neu erarbeiten.
Zu Ostern feiern wir das Fest der Auferstehung Christi. Sie ist auch uns verheißen. Meine Erfahrung ist, dass es leicht ist, an die Auferstehung zu glauben, solange es einem gut geht und man jung ist. Wird man älter und bekommt der eigene Tod Kontur, wird es schwieriger. Kann man den Auferstehungsglauben „einüben“, um ihn zu sichern?
Scheuer: Man kann den Glauben nicht wie eine Konserve einfach aus der Schublade hervorholen, wenn man ihn braucht. Zudem habe ich in meiner Biografie das „Anklopfen des Todes“ nicht erst im fortgeschrittenen Alter erfahren. Auch heute sehen wir, dass das Urenkelkind sich fragt: Was ist jetzt mit der verstorbenen Uroma? Kinder können unverstellt daran glauben, dass Menschen, aber auch Lieblingstiere einen Platz im Himmel haben. Vielleicht gehen sie mit dem Tod natürlicher um als wir Erwachsene. Der Tod ist ja für viele heute ein Tabuthema wie etwa Glaube oder Sexualität.
Aber es gibt diese Wirklichkeiten des Lebens, des Todes, des Schmerzes, der Trauer, der Liebe. Wir können in jeder Lebensphase Spuren des Lebens und des Todes finden. Wenn Freunde oder Familienmitglieder sterben, dann stirbt auch etwas in mir. Ich höre die Stimmen, die zu mir „Ich stehe zu dir“ gesagt haben, auf einmal nicht mehr. Aber ich werde sie auf anderer Ebene wieder hören.
Neben aggressivem Atheismus gibt es auch Atheisten, die sagen: Ich wünschte, ich könnte glauben. Ist der Glaube Gnade, ist er ein Geschenk?
Scheuer: Ich kann mir den Glauben nicht erarbeiten, insofern ist er Gnade. Aber schauen wir genau hin: Sagt jemand, er wünsche sich, glauben zu können, dann ist das eigentlich schon eine starke Form des Glaubens! Denn Glaube und Sicherheit gehen oft nicht zusammen, das zeigen die biblischen Glaubensgestalten: Abraham verlässt seine Heimat, um in die Fremde zu ziehen. Die Befreiung aus Ägypten führt das Volk Israel weg von den Fleischtöpfen, also der Nahrungssicherheit. Auch Jesus selbst hat „keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20; Lk 9,58). Die Vorstellung, dass jemand, der glaubt, keine Probleme habe, findet bei ihm keine Grundlage. Sein Vertrauen zu Gott, dem Vater, führt ihn zunächst einmal ans Kreuz und in die Verlassenheit. Glauben zu können, ist ein Geschenk, aber dabei ist meine eigene Freiheit stark involviert: Ein Kranker mag beispielsweise Hilfe benötigen, um gesund zu werden. Aber sein Wille, gesund zu werden, ist eine Voraussetzung, ohne die es nicht geht. Ähnlich ist es mit dem Glauben: Ich muss dafür offen sein.
Kritiker sagen, Religion sei nur eine Vertröstung auf das Jenseits. Aber das Christentum bekennt: Das Reich Gottes ist nahe! Was heißt das?
Scheuer: Christinnen und Christen können das Leid, den Schmerz und den Tod nicht ignorieren. Sie sind aufgerufen, das Reich Gottes im Hier und Jetzt wahrzunehmen und zu helfen, es zu verwirklichen. Denn niemand hat das Reich Gottes allein, niemand kommt ohne den Bruder, ohne die Schwester, ohne den Mitmenschen in den Himmel. Die Hoffnung, die Christinnen und Christen trägt, verweist auf eine andere Dimension von Freiheit, zeigt sich in heiterer Gelassenheit, vielleicht sogar tänzerischem Bewusstsein.
Die Karwoche und Ostern sind eine liturgisch dichte Zeit im Jahr. Gibt es einen Moment in diesen Feiern, der Ihnen besonders wichtig ist?
Scheuer: Das ist die Feier der Osternacht mit ihrem ganzen Spannungsbogen. Die Osternacht hat eine existenzielle Kraft. Sie ist eine Gewissheitserfahrung des Glaubens, lotet unsere ganze Existenz aus, ist mehr als moralischer Appell oder bloßes Gedankenspiel, sondern steht leiblich, sinnhaft und freudig für die christliche Auferstehungshoffnung.
Wort zum Sonntag
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