Wort zum Sonntag
Rund um die jährliche Verleihung der Nobelpreise ist viel von Grundlagenforschung die Rede: wie wichtig sie ist und dass sie zu wenig geschätzt wird. Christina M. Kreinecker ist Grundlagenforscherin – zwar ohne Aussicht auf einen Nobelpreis, aber sie leistet im Bereich der Bibelwissenschaft eine unverzichtbare Grundlagenarbeit. Sie ist an der Universität Löwen als Forschungsprofessorin angestellt.
Aktuell forscht sie zum griechischen Ausgangstext des 1. Korintherbriefs. Sie arbeitet mit einem Team an einer umfassenden textkritischen Ausgabe dieses wichtigen Paulusbriefs, wie es im Fachjargon heißt. Ziel ihrer Arbeit ist eine Neuerstellung des Ausgangstexts des 1. Korintherbriefs und die Darstellung, wie sich dieser entwickelt hat.
Selbst als regelmäßige:r Bibelleser:in denkt man kaum über den Ausgangstext nach, der jeder Bibelübersetzung zugrunde liegt. Doch ist klar, um beim Apostel Paulus zu bleiben: Kein einziger seiner Briefe ist im Original erhalten, so wie auch kein einziges Werk der lateinischen Schriftsteller Ovid, Julius Caesar oder Cicero. Sämtliche Werke finden sich in späteren Handschriften.
Gott sei Dank sind im Fall der biblischen Handschriften, anders als bei den lateinischen Schriftstellern, tausende Handschriften erhalten, die ersten bruchstückhaften in manchen Fällen schon rund hundert Jahre nach der Entstehungszeit. Aber Originale sind es dennoch nicht.
Als heilige Schriften wurden die Bücher der Bibel natürlich sehr sorgfältig weitergeben und entsprechend dürfen Bibelleser:innen aller Zeiten auf die Texte vertrauen: „Die großen Fragen des Glaubens wie Tod und Auferstehung Jesu sind im Text immer gleich geblieben“, sagt Kreinecker. Aber im Laufe der Jahrhunderte haben sich doch Abschreibfehler eingeschlichen, aber auch Varianten und Abweichungen gebildet, die für das Verstehen des Textes in der jeweiligen Zeit notwendig sind. Genau das erforscht Christina M. Kreinecker.
Als Beispiel für eine notwendige Veränderung – in der deutschen Sprache – führt sie die Begegnung von Elisabeth mit Maria an. Im Lukasevangelium heißt es: „Gesegnet bist du unter den Frauen.“ Es ist heute selbstverständlich, dass das ehemalige „Weiber“ als „Frauen“ wiedergegeben wird.
Veränderungen solcher Art finden sich natürlich in den Handschriften aller Sprachen und sind nicht böswillig, um etwas zu verfälschen, sondern dem Bemühen um das Verstehen geschuldet. „Wer mit Handschriften arbeitet, bekommt einen Respekt vor dem Bemühen aller Generationen, die wie wir um eine verständliche Verkündigung der Botschaft Jesu gerungen haben“, betont Kreinecker. „Denn nur im Verändern und Anpassen an das Verständnis der jeweiligen Zeit ist Verstehen möglich. Insofern öffnet der Umgang mit Handschriften den Blick auf die Vielfalt der Überlieferung und ist daher wie eine Impfung gegen den Fundamentalismus.“
Für die Aufarbeitung des 1. Korintherbriefs erhielt Christina M. Kreinecker gut 3,8 Millionen Euro Forschungsförderung des Flämischen Wissenschaftlichen Forschungsfonds, um in den kommenden fünf Jahren bis 2027 die Textgeschichte von 1 Kor aufarbeiten zu können.
Dazu sind hunderte Handschriften zu analysieren. Natürlich ist das kein Projekt, bei dem man sich allein durch Berge alter Papyri und Pergamente ackert. Das geht nur im Team. Es braucht Spezialisten für Griechisch, Latein, Koptisch und Syrisch – um nur die wichtigsten zu nennen. Mit Kreinecker als Leiterin sind derzeit zehn Personen angestellt. „Wichtig ist die fächerübergreifende Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen aus verschiedenen Disziplinen“, betont Kreinecker. Vor allem die Computerwissenschaften spielen eine große Rolle. Für die Bearbeitung der Materialfülle müssen eigene Programme entwickelt werden.
Kreineckers Projekt zum 1. Korintherbrief ist Teil einer groß angelegten Forschung zum gesamten Textbestand des Neuen Testaments. Das International Greek New Testament Project, in Kooperation mit dem Institut für Neutestamentliche Textforschung in Münster und dem Institute for Textual Scholarship and Electronic Editing in Birmingham, erarbeitet derzeit eine völlig neue Ausgabe des griechischen Neuen Testaments, die sogenannte Editio Critica Maior. 1997 erschien die erste Teillieferung. Inzwischen liegt eine Handvoll Arbeiten vor. Bis 2030 soll das gesamte Projekt abgeschlossen sein.
Der 1. Korintherbrief ist ein Teil davon. Das Ergebnis von Kreineckers Forschungen wird sich digital und gedruckt finden. „Es ist ein Dienst an der Wissenschaft“, sagt sie. „Kritische Textausgaben haben einen langen Bestand. Die letzte Ausgabe zum 1. Korintherbrief erschien im 18. Jahrhundert.“
Sie hofft, dass auch die Arbeit ihres Teams Generationen überdauern wird: „Der griechische Text des Korintherbriefs, den wir erarbeiten, wird in die nächste Ausgabe des Nestle-Aland aufgenommen.“ Die nach den Herausgebern Nestle-Aland benannte Ausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache bildet die Grundlage für sämtliche Bibelübersetzungen weltweit. „Das wird noch Jahre dauern, aber vermutlich werden die Enkel- oder Urenkelkinder der heutigen Kirchenzeitungsleser:innen das Ergebnis unserer Arbeit einmal als Lesung in der Kirche hören“, meint Kreinecker schmunzelnd: „Wir denken in langen Phasen.“
Die Handschriften sind die große Leidenschaft von Christina M. Kreinecker. Parallel zum 1. Korintherbrief hat sie ein EU-Projekt zu zweisprachigen Bibelhandschriften laufen. Die mit zwei Millionen geförderte Arbeit steckt noch in den Kinderschuhen, erklärt sie. Aber es klingt ebenso spannend wie das zum 1 Kor.
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