Wort zum Sonntag
Die Kika/Leiner-Möbelhäuser sperren nun alle zu. KTM im Bezirk Braunau ist die größte Insolvenz des Vorjahres. Und auch viele kleinere Betriebe schließen unfreiwillig – manche, weil sie im Strudel der großen Insolvenzen mitgerissen werden, manche, weil es sich wirtschaftlich nicht mehr ausgeht.
Die Krise betrifft alle Branchen und das ganze Land. In Oberösterreich gab es 2024 um 22,3 Prozent mehr Konkurse als im Vorjahr, berichtet der Kreditschutzverband. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Aussichten für 2025 sind nicht besser.
„Die größte Herausforderung sind oft die letzten Wochen, wenn die Preise purzeln. Manche Kund:innen sind auf Schnäppchenjagd, sie interessieren sich nicht dafür, wie es den Verkäufer:innen geht“, berichtet Betriebsseelsorgerin Martha Stollmayer von Geschäftsschließungen im Handel und der schwierigen Situation der überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen. Diese bewältigen oft besondere Herausforderungen in den letzten Tagen an ihrem Arbeitsplatz, aber wissen schon, dass sie bald arbeitslos sind. Es gibt auch positive Erlebnisse, wenn Geschäfte zusperren: Wenn Stammkund:innen noch einmal vorbeikommen, um sich bei „ihrer“ Verkäuferin für die langjährige Arbeit zu bedanken, entstehen gute Abschiede.
Martha Stollmayer hat als Betriebsseelsorgerin im Treffpunkt mensch & arbeit Linz-Mitte schon viele Geschäftsschließungen miterlebt, so jetzt und im Vorjahr die Schließung der Möbelhäuser von Kika/Leiner oder 2015 die Insolvenz der Ring-Bäckereien. Kleinbetriebe sind aber genauso betroffen, auch wenn darüber weniger öffentlich geredet wird.
„Mir ist es ein Anliegen, dass die Mitarbeiter:innen einen guten Schlussstrich ziehen können, um gestärkt weiterzugehen: mitzunehmen, was alles gut war, und zurückzulassen, was wütend und traurig gemacht hat. Sei es in Form eines Abschiedsrituals oder des Dankes für die oft jahrzehntelange Arbeit, wenn der Chef oder die Chefin dies nicht tut. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich mit Rosen in einem halbleeren Geschäft zwischen den Kartons mit den Frauen stehe und ihnen ermutigende Worte zuspreche.“
Im Handel arbeiten viele alleinerziehende Frauen, für die es herausfordernd ist, einen Job zu finden, der mit der Kinderbetreuung vereinbar ist. Auch ältere Arbeitnehmer:innen kurz vor der Pensionierung stehen vor der Frage, wer sie und ihre Fähigkeiten und ihr Fachwissen noch brauchen kann.
„Du kannst was – du bist wer! ... Auch wenns grad nicht leicht is“ steht auf der Karte, die Betriebsseelsorgerin Martha Stollmayer den Mitarbeiter:innen überreicht. Zum „Danke“ dazu gehört ein Gesprächsangebot. „Konkrete nächste mögliche Schritte zu wissen, hilft“, sagt die Betriebsseelsorgerin. Nie gehe es nur um finanzielle Fragen: „Da gerade für Frauen die Kolleg:innen meist ein wichtiges soziales Netzwerk bilden, trauern sie nicht nur um den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch um lieb gewordene Kolleg:innen.“
Der Seelsorgerin ist es wichtig, zu betonen, dass es einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann arbeitslos wird: „Die Aufmerksamkeit der Politik ist viel geringer, wenn es um reine Frauenarbeitsplätze geht. Bei Männerbetrieben sind z.B. Insolvenz-/Arbeitsstiftungen für die berufliche Neuorientierung der Betroffenen eher möglich.“
„Durch riesige Hallen zu gehen und zu wissen, dass die Maschinen dort bald abgebaut werden, ist auch für mich ein emotionales Erlebnis. Wie geht es erst den Menschen, die dort viele Jahre gearbeitet haben und jetzt die Maschinen abbauen müssen?“, fragt Stefan Robbrecht-Roller, Referent von mensch & arbeit der Diözese Linz, nach einem Besuch in einem Industriebetrieb, dessen Produktion ins Ausland verlagert wird.
Vor Ort hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Fritz Käferböck-Stelzer Gespräche mit dem Betriebsrat geführt. „So eine Situation ist für Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innen sehr belastend. Oft sind es schwierige Verhandlungssituationen. Es geht um möglichst gerechte Sozialpläne, man muss Kompromisse schließen und kann es doch nie jedem recht machen“, berichtet der Betriebsseelsorger. „Ein Betriebsrat verliert ja auch seinen Job – und da tut es gut, wenn jemand von außen da ist, wo man frei reden kann und Stärkung erfährt.“
Betriebsseelsorge finde vor allem vor Ort in den Betrieben statt, betonen alle Seelsorger:innen des Bereichs mensch & arbeit. „Leichter ist es in einen Betrieb reinzukommen, wenn man schon jemanden kennt“, erklärt Stefan Robbrecht-Roller. Die Netzwerkarbeit mit der Gewerkschaft spiele dabei eine wichtige Rolle.
Die Arbeitsweise der Betriebsseelsorge wird als „hingehende Seelsorge“ bezeichnet. Egal ob es sich um Großbetriebe handelt oder um kleine Unternehmen: Betriebsseelsorger:innen haben Zeit für Gespräche vor Ort in den Betrieben, würdigen, was die Menschen an ihrem Arbeitsplatz leisten, und sind besonders in Krisenzeiten da. Die neun Betriebsseelsorgezentren in Oberösterreich kooperieren auch mit den Pfarren.
Die Insolvenz der Pierer Mobility AG, der Holdinggesellschaft des Motorradherstellers KTM, betrifft den ganzen Bezirk Braunau. Die Kirchenzeitung berichtete Anfang Dezember 2024. „Seitdem ist vieles noch schlimmer gekommen als befürchtet“, sagt die Braunauer Betriebsseelsorgerin Susanne Lew.
Erste Kündigungen wurden ausgesprochen und derzeit gibt es einen Produktionsstopp bei KTM, was für alle Arbeitnehmer:innen eine Arbeitszeitreduktion und einen realen Gehaltsverlust bedeutet. „Die Euphorie für KTM ist weg. Viele waren so stolz, dass sie für die KTM gearbeitet haben. Das ist verschwunden“, berichtet die Seelsorgerin über die Stimmung in der Region.
„Stefan Pierer hat als Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich immer eine Reduzierung der Lohnnebenkosten gefordert. Nun sind die Löhne über den Insolvenz-Entgelt-Fonds nachbezahlt worden“. Dieser Fonds speist sich vor allem aus Beiträgen der Arbeitgeber, die als Lohnnebenkosten der Mitarbeiter:innen eingehoben werden.
Unlängst forderte die katholische Arbeitnehmer:innen-Bewegung Österreich (KABÖ), die mit der Betriebsseelsorge eng verbunden ist, mehr Gerechtigkeit bei den Folgen von Betriebsschließungen und Kündigungswellen.
„Der nötige Strukturwandel in Richtung einer menschen- und klimagerechten Produktionsweise braucht auch einen Transformationsbeitrag der Überreichen“, sagt KABÖ-Vorsitzende Anna Wall-Strasser.
Es gehe auch um eine solidarische Absicherung: „Ein Arbeitslosengeld mit 55 Prozent Nettoersatzrate ist für die Betroffenen ein großer finanzieller Verlust, für Beschäftigte in Niedriglohnbranchen geht es faktisch an die Existenz. Das betrifft insbesondere Familien und Kinder.“
Im Treffpunkt mensch & arbeit Braunau startet am 27. Februar eine 8-teilige Workshopreihe mit dem Thema „Kraft tanken in stürmischen Zeiten“. Teilnehmer:innen finden gemeinsam mit den Betriebsseelsorgerinnen Zeit zum Reflektieren und Verschnaufen. Im Mittelpunkt stehen die eigenen Bedürfnisse und Kraftquellen.
Infos: 07722 65632
Ein Orientierungsangebot in beruflichen Umbruchsituationen ist die seit mehreren Jahren stattfindende Workshopreihe „Lebens- und Berufsnavigation: Was ich wirklich will“. Diese findet an verschiedenen Orten statt, die nächste Runde startet am 24. März im Treffpunkt mensch & arbeit Rohrbach.
Infos: 0676 8776-3659
Mehr zum Bild: Schokolade, eine Karte, eine Rose – Betriebsseelsorgerin Martha Stollmayer bringt Handelsangestellten bei Betriebsbesuchen immer eine Kleinigkeit mit. Wenn ein Unternehmen geschlossen wird, wie Ende Jänner die Kika-Filiale in Linz-Urfahr (Foto), ist ihr Gesprächsangebot besonders gefragt.
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