Wort zum Sonntag
Die Überlegung ist schon richtig: die „Übernächstenliebe“ ist oft weniger fordernd als die Liebe zum unmittelbar Nächsten, zum nervenden Kind oder zu den anstrengenden Eltern. Das Engagement für die Fernsten kann manchen so in Beschlag nehmen, dass keine Zeit mehr für die Nächsten bleibt.Unbestritten besteht darin eine Gefahr und es ist klug, sein Handeln immer wieder zu hinterfragen. Aber wer den Umkehrschluss zieht und eine Rangordung der Nächstenliebe aufstellt, deren Formel etwa so lautet „Mit dem Quadrat der Entfernung nimmt die Verantwortung für die Nächsten ab“, der irrt. Je weiter weg, desto mehr kann man wegschauen, das mag verständlich sein, widerspricht aber der Botschaft der Bibel. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ heißt es im Buch Levitikus (Lev 19,18) und die Bergpredigt (Mt 5,43–45) präzisiert: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Es soll hier in dieser Erklärung nicht um die Feindesliebe gehen, sondern um die Frage, wie Jesus die Nächstenliebe begründet. Jesus sieht sie in der Erschaffung der Erde grundgelegt, heißt es dazu in dem Buch „Die Bibel falsch verstanden“: „Wie Gott seine Liebe mit Sonnenschein und Regen allen Menschen zuteilwerden lässt, soll auch die Liebe der Menschen zu den Menschen keinen Einschränkungen unterworfen sein. Entsprechend illustriert auch Lukas seine Auslegung des Liebesgebotes durch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37), in dem in praktizierter Nächstenliebe selbstverständlich Herkunfts- und Kulturgrenzen überschritten werden.“ Bedenkenswert ist auch, dass innerhalb des 19. Kapitels des Buches Levitikus, in dem sich das „Liebe Deinen Nächsten“ findet, der Adressatenkreis der Liebe zweimal erweitert wird: auf den Fremden hin sowie auf den Flüchtling und Arbeitsmigranten, der aus wirtschaftlichen Gründen ohne Bindung an das Volk oder seine Religion nach Israel gekommen ist. Die jüdischen Gelehrten bringen überdies seit dem Altertum das Gebot der Nächstenliebe mit dem 5. Kapitel des Buches Genesis in Verbindung, das vom Menschheitsgeschlecht ab Adam handelt. Die Botschaft lautet: Alle Menschen bilden eine Familie, die Liebe zu allen Menschen ist daher ein Gebot Gottes.
Das Katholische Bibelwerk Stuttgart hat 33 „schwierige“ Bibeltexte zusammengetragen und erklärt. Die KiZ stellt in unregelmäßigen Abständen Themen aus dem spannenden Buch vor.
Thomas Hieke, Konrad Huber (Hrsg.): Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt. Stuttgart 2020, 300 Seiten, € 23,60. Portofrei bei Bestellung beim Linzer Bibelwerk: www.bibelwerklinz.at oder Tel. 0732 7610-3231 und E-Mail: bibelshop@dioezese-linz.at
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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