Die Judenverfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus hat viele Täter hervorgebracht. Aber auch Retter, wie das Ehepaar Friedmann aus Enns. Die Geschichte eines Verstecks, eines Fotos und einer Begegnung.
Am 16. April 1945 ziehen Tausende jüdische Gefangene durch Enns, auf dem Weg vom Konzentrationslager Mauthausen nach Gunskirchen. Dem 20-jährigen David Hersch gelingt die Flucht. Barbara Friedmann findet ihn beim Kristeinerbach. Ihr Mann Ignaz holt den entkräfteten jungen Mann in der Nacht mit einem Pferdewagen und versteckt ihn in der Scheune. Die Gefahr ist groß: Im ersten Stock des Hauses ist die gefürchtete Schutzstaffel SS einquartiert. Die Friedmanns vertrauen ihr Geheimnis einem Hilfsgendarmen an, der mit ihnen den verbotenen „Feindsender“ hört. Er rät ihnen, den jungen Mann außer Haus zu verstecken. Das Ehepaar bringt den „Buam“, wie Frau Friedmann David Hersch später in einem Gespräch nennt, in die Nähe eines Heustadels. Als Nahrung hat er nur einige Kartoffeln bei sich. Doch David Hersch verbringt anscheinend mehrere Nächte im Freien. Denn eine Nachbarin erzählt schließlich Frau Friedmann, dass Kinder einen fast toten „KZler“, wie die Häftlinge des Konzentrationslagers genannt wurden, in den Bach stoßen wollen. Barbara Friedmann verscheucht die Kinder und versteckt David Hersch im Gebüsch. Dann bringt ihn Ignaz Friedmann heimlich zurück zum Wohnhaus. Auf dem Dachboden erlebt er Anfang Mai 1945 die Befreiung von der Diktatur der Nationalsozialisten.
Das Versteck des Vaters
Mehr als 70 Jahre später, am 25. März 2017, hat David Herschs Sohn diesen Dachboden zum ersten Mal gesehen. Jack Hersch war aus den USA zu Besuch in Enns. Er möchte ein Buch über die Rettung seines Vaters schreiben. Jedes Jahr zum jüdischen Pesach-Fest hatte David Hersch davon erzählt. Nach seinem Tod 2001 wollte Jack Hersch wissen: Wo hat sich der Vater in dieser Scheune versteckt? Wie konnte das trotz der SS-Soldaten im Haus gelingen? Wie hat der Vater die Tage und Nächte nur mit ein paar Kartoffeln im Freien überlebt? – Herbert Friedmann, der Enkel der Retter, konnte einiges beantworten. Er hat Jack Hersch durch das Haus, die Scheune und den Dachboden geführt und erzählt, was er von den Großeltern noch in Erinnerung hatte.
Ein Foto und seine Geschichte
Das Treffen kam unter anderem durch die Unterstützung von Fritz und Gabriele Käferböck-Stelzer zustande. Sie sind von der außergewöhnlichen Begegnung tief berührt. „Für Jack Hersch ist die Spurensuche sehr wesentlich. Er hat immer wieder betont, dass er ohne die Errettung seines Vaters nicht hier wäre“, sagt Gabriele Käferböck-Stelzer und erzählt von einem Foto, das diese Spurensuche ins Rollen gebracht hat. Eine Tante aus Israel hat Jack Hersch auf ein Jugendfoto seines Vaters aufmerksam gemacht. Es war auf der Website des Mauthausen Komitees Österreich zu sehen. Wie war es nach Österreich gekommen? Die Recherche ergab: Verwandte von David Hersch hatten das Foto kurz nach dem Krieg aus seiner Heimat Siebenbürgen nach München geschickt. Denn David Hersch war an Flecktyphus erkrankt und verbrachte hier eineinhalb Jahre in einem Lager. Auf der Heimreise in Richtung Rumänien musste der Zug in Enns längere Zeit stehen bleiben. David Hersch nutzte die Gelegenheit. Er hat seine Retter wiedergesehen und ihnen das Foto geschenkt.
Gutes in schlechten Zeiten
„David Hersch dürfte ein lustiger und fröhlicher Mensch gewesen sein“, sagt Gabriele Käferböck-Stelzer. Sie ist beeindruckt von der Lebensfreude, die er sich bewahrt hat. Die Begegnung mit Jack Hersch und mit der Geschichte seines Vaters haben ihr eine persönliche Erkenntnis beschert: Es gab auch Hilfsbereitschaft in dieser schweren Zeit. Das Buch über eine ganz besondere Hilfsbereitschaft soll im kommenden Jahr auf Englisch erscheinen.
„Es ist verrückt, was da passiert ist.“ Jack Hersch (links) und Herbert Friedmann vor dem Haus in Enns/Kristein, in dem David Hersch versteckt wurde.