Sr. Anna Mayrhofer betreut seit Jahren Prostituierte und Opfer des Frauenhandels und hilft ihnen beim Ausstieg. Wütend macht sie, dass Prostitution die einzige legale Beschäftigung ist, der auch Asylwerberinnen nachgehen dürfen.
„Da stand sie vor mir. Mit nichts als einem dicken Bauch, einem hilfesuchenden Blick und, wie sich bald herausstellte, einem großen Bündel Sorgen.“ So erinnert sich Sr. Anna Mayrhofer an eine der ersten Klientinnen, die an die Tür der Schutzwohnung für ausstiegswillige Prostituierte klopfte. Im Oktober 2012 war die Zufluchtsstätte in Wien auf Initiative von sechs Frauenorden eröffnet worden. Sie wollen damit einen konkreten Beitrag gegen das auch in Europa weit verbreitete Übel des Frauenhandels leisten.
Frauen, die aus Prostitution rauskommen wollen
Sr. Anna Mayrhofer von der Gemeinschaft der „Franziskanerinnen-Missionarinnen Mariens“ hatte in Norddeutschland bereits 13 Jahre in einer ähnlichen Einrichtung gearbeitet. Sie war in Österreich auf der „Durchreise“, um für ihren Orden eine neue Aufgabe zu übernehmen; aber ihre Vergangenheit holte sie ein: aus dem Ausstieg wurde ein neuer Einstieg. Mehr als ein Dutzend Frauen, die aus der Prostitution rauskommen wollen, hat sie seither mit ihren Mitarbeiterinnen und einer Reihe ehrenamtlich tätiger Ordensfrauen in der neuen Schutzwohnung betreut.
Der Würde beraubt
Rund 80 bis 85 Prozent aller Prostituierten stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis, das man als Zwang bezeichnen könnte, sagt Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt. Er beruft sich dabei auf eine Untersuchung, bei der Streetworker einige hundert der mehr als 10.000 in Österreich tätigen (davon 6200 legal) Prostituierten befragt haben. „Der ,Zwang‘ ist ein weites Feld“, sagt Sr. Anna. „Aber immer geht es dabei auch darum, dass Frauen ihrer Würde beraubt werden.“ Eine ihrer ersten Klientinnen in Deutschland war eine junge Litauerin, die von der Polizei befreit worden war. Zuvor hatten sie Mitglieder einer Schlepperbande in einem Keller an die Zentralheizung gefesselt und mehrfach brutal vergewaltigt. „Ich habe Frauen gesehen, die blau und grün geschlagen worden waren, nachdem sie versucht hatten, abzuhauen.“ Unter Zwang stünden aber auch, so Sr. Anna, die Frauen aus Rumänien oder Moldavien auf dem Straßenstrich in Wien/Auhof: „Die sind so total überwacht, dass sie keine fünf Sätze mit Streetworkern wechseln können, ohne dass der Zuhälter auftaucht.“
Prostituierte aus Osteuropa
Viele Prostituierte in Österreich kommen aus Osteuropa, aus absoluten Armutsverhältnissen und häufig völlig zerrütteten Familien. „Manche gehen dabei einfach den Versprechungen von Menschenhändlern auf einen guten Job auf den Leim, andere werden regelrecht von ihren Vätern verkauft“, weiß Sr. Anna. Und erzählt das krasse Beispiel einer „ihrer“ Frauen, deren Vater regelmäßig mit dem Zuhälter im Bordell auftauchte, um das Geld von seiner Tochter abzukassieren. „Es gibt aber auch Frauen“, so Sr. Anna, „die wissen schon, dass sie in die Prostitution gehen. Sie sehen aber keine andere Wahl, um ihre Kinder zu Hause durchzufüttern.“ Immer öfter seien Frauen aus Roma-Familien Opfer dieser unheilsamen Spirale aus Armut, Not und Menschenhandel, beklagt Sr. Mayrhofer. „Und wenn sie dann einmal da sind, werden sie mit einem Bündel an Gewalt und Drohungen, auch gegen ihre Familien zuhause, mit gebrochenen Versprechen und weggenommenen Pässen, mit angeblichen Schulden, weit überhöhten Unterhaltskosten und dem Zwang, auch noch Geld für ihre Familien verdienen zu müssen, unter Druck gehalten.“ Viele würden sich daher auch gar nicht trauen, gegen ihre Peiniger auszusagen.
Zum Ausstieg bereit
Überrascht waren die Ordensfrauen, wie schnell die acht Plätze in ihrer Schutzwohnung belegt waren. „Zu uns kommen derzeit vor allem Frauen, die mit einem möglichen Ausstieg schon ,gespielt‘ haben“, meint Sr. Anna. „Etwa Nigerianerinnen, die einen Großteil ihrer ,Schulden‘ bei ihren ,Matronen‘ zuhause und ihren Schleppern bereits abgezahlt haben; oder Frauen, die, um loszukommen, in eine Beziehung geflüchtet sind und dann schwanger vor unserer Tür stehen, weil sie nicht mehr ein noch aus wissen; oder Frauen, die schon ein Kind haben und deshalb nicht mehr auf den Strich wollen.“ Wenn sie dann allmählich Vertrauen fassen und ihre Geschichten erzählen, spürt Sr. Anna nicht nur Mitgefühl mit diesen Frauen. Oft komme dazu auch eine kräftige Portion Wut: Wut darüber, wie leicht es in Österreich ist, Migrantinnen auf den Strich zu schicken – es ist z. B. die einzige legale Beschäftigung, der auch Asylwerberinnen nachgehen dürfen; Wut darüber, dass aussagewillige Opfer von Frauenhandel bei Gericht kaum eine Chance haben; Wut darüber, dass es in Europa zwar eine tolle Konvention gegen Menschenhandel gibt, aber in der Praxis – auch in Österreich – oft der Wille zur Umsetzung fehlt; auch Wut über Männer, nicht nur über Schlepper, Vergewaltiger und Zuhälter, sondern auch über jene, die Frauen zum Gegenstand ihrer egoistischen Lust degradieren.
Ein Rucksack voller Probleme
Auf dem Weg zurück in ein Leben ohne Prostitution liegen viele Stolpersteine und Hürden, weiß Sr. Anna. „Viele unserer Klientinnen bringen einen ganzen Rucksack voller Probleme mit: Manche sind traumatisiert oder in einem schlechten Gesundheitszustand; für andere müssen wir ganz rasch ein Krankenhaus suchen, wo sie auch ohne Versicherung entbinden können; fast alle haben nur eine schlechte oder gar keine Schulausbildung. Weitaus die meisten Prostituierten sind Ausländerinnen, oft mit einem ungeklärten Rechtsstatus. Zudem müssen die meisten unserer Bewohnerinnen erst lernen, einen normalen Alltag zu bewältigen, das tief in ihnen sitzende Misstrauen abzubauen, Verantwortung zu übernehmen und sich als selbständige und starke Frauen zu empfinden“, erzählt Sr. Anna. „Als mir eine unserer Klientinnen mit lautem Nein die Tür vor der Nase zuknallte, habe ich mich echt gefreut. Da habe ich gespürt, jetzt beginnt sie, ihr Leben selbst zu bestimmen.“
Als Mann und Frau
Es sei meist ein langer Weg, den „wir da mit den Frauen gehen. Aber ich bin fest überzeugt, es ist immer ein Weg, der sie ein Stück weiterbringt.“ Deshalb sei sie auch nicht frustriert, wenn es Rückschläge gebe. Ärger und Frust allerdings überkommt Sr. Anna, wenn sie an manche bürokratische Hürden, sie spricht von Schikanen, denkt, etwa bei der Suche nach einer leistbaren Gemeindewohnung oder bei der immer wieder verweigerten Mindestsicherung für ausstiegswillige Prostituierte aus EU-Ländern. Es gebe aber nicht nur Prügel zwischen die Beine, sondern auch viel Hilfe – „von verschiedenen Einrichtungen, die uns bei der Lösung der unterschiedlichen Probleme sehr unterstützen, ebenso wie von Privatleuten.“ Der schönste Lohn aber sei, zu sehen, wie die Frauen langsam aufblühen. „Ihr seid meine zweite, meine eigentliche Familie“, sagte eine ehemalige Klientin. Das trifft auch Sr. Annas tiefsten Antrieb für diese Arbeit: „Die Frauen erfahren zu lassen: Ihr seid wertvoll. Es geht da um den Kern des christlichen Menschenbildes – denn als Mann und Frau schuf uns Gott, gleich an Würde und Rechte.“
zur Sache
Frauenhandel – Taten gesetzt
SOLWODI (Solidarity with women in distress – Solidarität mit Frauen in Not) wurde 1985 in Kenia von der deutschen Ordensfrau und Pädagogin Lea Ackermann gegründet.
Sie wollte damit Opfern des Frauenhandels und des Sextourismus in Afrika helfen. Bald darauf wurden auch in Deutschland die ersten Hilfsstellen eingerichtet, da Zwangsprostitution und Menschenhandel längst zu einem weltweit blühenden „Geschäft“ geworden sind.
In Österreich engagiert sich eine Gruppe von Ordensfrauen seit 2010 gegen Frauenhandel. Mit Unterstützung von sechs Orden – Caritas Socialis, Salvatorianerinnen, Steyler Missionsschwestern, Congregatio Jesu, Barmherzige Schwestern und Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens – gründeten sie SOLWODI Österreich und eröffneten im Oktober 2012 in Wien ihre erste Schutzwohnung für Prostituierte. Sie bieten dort kurzfristige Krisenintervention und langfristige Begleitung. Das Projekt wird auch von der Vereinigung der Frauenorden unterstützt. Deren Präsidentin, Sr. Beatrix Mayrhofer, sieht auch einen Bedarf für ähnliche Einrichtungen in anderen Bundesländern.
Infos: www.solwodi.at