„Der Wahnsinn kennt keine Grenzen“, diagnostiziert Heini Staudinger, der Chef der Waldviertler Schuhwerkstatt. „Das Billige löst das Gute ab, das Noch-Billigere das Billige. Mit dieser Methode hinterlässt das System eine Straße der Zerstörung.“ – Am Beispiel Schuhe, Import und Handwerk, zeigt Staudinger auf, was er meint.
Weltweit werden jährlich 20 Milliarden Paar Schuhe erzeugt, zwölf davon, also 60 Prozent, in China. China und die anderen „Schuh-Großmächte“ Indien, Brasilien und Vietnam produzieren vier von fünf Paaren, die weltweit verkauft werden. Die Schuhproduktion ist in Billigstlohnländer ausgelagert. Um 5 Euro importieren Großhändler ein Paar Schuhe aus China. Die Chinesen aber beginnen ihrerseits, die Produktion nach Äthiopien auszulagern, denn dort kostet die Lohnminute nicht einmal 0,2 Cent und damit nur ein Zehntel der Minute in China.
Die Schuhproduktion verschwindet
Da kann Europa nicht mithalten. Bis Anfang 2011 hob die EU 8 Prozent Zoll auf chinesische Schuhe ein und belegte Schuhe, die um weniger als 10 Euro importiert wurden, mit 16,4 % Anti-Dumping-Zuschlag. Seit 2011 können Billigschuhe nun ohne Zoll importiert werden. Die EU argumentierte: Die Schuhproduktion in Europa gebe es ohnedies nicht mehr, darum brauche sie auch nicht geschützt werden. Tatsächlich gibt es nur noch etwa 20 Schuherzeuger in Österreich. Der Preisdruck ist enorm. Auf einem österreichischen Schuh sind durchschnittlich acht Mal so hohe Arbeitskosten, wie die Zölle und Abgaben für Billigschuhe aus China bis 2011 betragen haben.
Äthiopien ist noch billiger
Österreichs Schuhproduktion war einmal groß und könnte es, vom Bedarf her, noch sein. Eine gut ausgestattete Schuhfabrik erzeugt pro Arbeitskraft etwa 1000 Paar Schuhe im Jahr. Durchschnittlich kaufen die Österreicher/innen jährlich fünf Paar Schuhe, insgesamt etwa 40 Millionen Paar. 40.000 Menschen könnten dadurch Arbeit haben. Aber in Österreich sind in der Schuhproduktion kaum 1000 Menschen beschäftigt. Heini Staudinger engagiert sich für Sozialprojekte in Afrika. Jüngst kam er auch durch Äthiopien. „Du kannst dir nicht vorstellen“, sagt er, „was die Chinesen dort bauen. Du fährst mit dem Auto, 60/70 Stundenkilometer, einige Minuten an Produktionshallen vorbei. Die Spirale des ,Immer-noch-Billiger‘ macht alles kaputt. Einerseits wollen Unternehmer hohe Gewinne und verlagern die Produktion in Billigstlohnländer. Andererseits wollen die Konsumenten immer noch billiger einkaufen.“
Mehrheitsfähige Sehnsucht
„Wir müssen einen Schlussstrich ziehen und uns fragen: Was ist ein fairer Preis? Nur über einen fairen Preis sind faire Löhne möglich. Wir wollen doch alle faire Löhne!“ Das System müsse durchbrochen werden – teurer einkaufen, aber dafür weniger. – „Wovon ich rede, ist in Form von Sehnsucht längst mehrheitsfähig“, sagt Staudinger. Dass die Waldviertler Schuhwerkstatt überleben kann, hänge damit zusammen, dass Tausende bereit sind, den fairen Preis zu zahlen.
Lehrlingstag
Am Osterdienstag, 22. April sind Jugendliche mit ihren Eltern in die Waldviertler Schuhwerkstatt zum Lehrlingstag eingeladen. Lehrlinge werden dort den Jugendlichen ihre Arbeit erklären. In der Schuhproduktion der Waldviertler Schuhwerkstatt sind derzeit sechs Lehrlinge beschäftigt. Bald sollen es mehr werden, insgesamt 15. In ganz Österreich gibt es kaum 30 Schuhmacher-Lehrlinge. Für Staudingers Team gehört alles zusammen: Faire Preise, faire Löhne und Unterstützung für Kinder von in der Firma beschäftigten Alleinerziehenden, Wertschätzen des Handwerks, Reparatur-Gesinnung statt Wegwerf-Mentalität, Pflege des Lebensraumes Oberes Waldviertel.
170 im Team
Am Lehrlingstag werden die Teilnehmer/innen auch Dawid Bielem treffen, einen gebürtigen Polen, der in Deutschland einen Fernsehbeitrag über die Schuhwerkstatt sah und dann hier arbeiten wollte. Seit zwei Jahren ist er als gewissenhafter Andreher eine Stütze der Produktion. Oder die Irin Jennifer Cavanaugh, die Schuhsohlen anleimt und nun in Karenz geringfügig beschäftigt ist, weil sie gerne hier arbeitet und dranbleiben möchte. Oder der gelernte Koch Mario Stitz, der hier seit drei Jahren als „Ausputzer“ arbeitet. Oder Gabriela Meixner. Sie kommt aus Tschechien und macht letzte Handgriffe. „Kosmetik für die Schuhe“, sagt Staudinger. Sie alle gehören zum 170-köpfigen Team. Es entwirft, produziert und verkauft pro Tag etwa 400 Paar Schuhe sowie Möbel und Liegen aus dem GEA-Programm.
Stichwort
Waldviertler Schuhwerkstatt. Die Firma hat ihren Sitz in Schrems. In der Schuhwerkstatt und den dazugehörigen Produktionen sind etwa 170 Menschen beschäftigt. Mit den Handelsgeschäften GEA beschäftigt Heini Staudinger, gebürtig aus Schwanenstadt, etwa 250 Menschen. Waldviertler Schuhe und GEA gehören zusammen.
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