„Die Lourdesgrotte ist eine Form von Inszenierung“
In zahlreichen Kirchen in Oberösterreich wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts Marien- oder Lourdesgrotten errichtet. Heute verschwinden sie langsam. Ein Anlass, sie genauer zu betrachten.
Die Lourdesmadonna in der Pfarrkirche Naarn steht nicht in einer Steingrotte, sondern vor der Fotografie eines blauen Stoffes. Hundert Jahre nachdem die Lourdesgrotte in der Naarner Turmkapelle eingeweiht worden war, gestaltete sie die Künstlerin Elisabeth Czihak neu. Immer mehr Kirchen in Oberösterreich werden renoviert. Dabei verschwinden meist die Höhlen, die jener in Lourdes nachempfunden wurden.
Neue Form der Marienverehrung
Von Februar bis Juli 1858 erschien der 14-jährigen Bernadette Soubirous insgesamt 18 Mal die Mutter Gottes in einer Grotte in der Nähe von Lourdes. Immer mehr Menschen pilgerten daraufhin in den südwestfranzösischen Ort und brachten eine neue Form der Marienverehrung mit nach Hause. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Lourdesgrotten in Kirchen und auch als Flurdenkmale an markanten Stellen im Freien errichtet. Die typische Lourdesmadonna in weißem Kleid und mit einem blauen Gürtel ist einer Statue von Joseph-Hugues Fabisch nachempfunden. Der Bildhauer hatte sie 1864 nach Bernadettes Beschreibung angefertigt. Bernadette Soubirous selbst hat ihre Vision in der Figur nicht wiedererkennen können. Das tat aber dem Siegeszug der Madonnenfigur keinen Abbruch.
Tradition der barocken Volksfrömmigkeit
Ob in Serie hergestellt oder von heimischen Schnitzern sorgfältig gestaltet: Die Lourdesmadonna ist kein Gegenstand der Kunst, sondern dokumentiert etwas Immaterielles, meint der Linzer Historiker Dr. Bernhard Prokisch, Leiter des Bereichs Kulturwissenschaften der Oö. Landesmuseen. „Mit der massenhaften Verehrung der Lourdesmadonna wurde die Tradition einer barocken Volksfrömmigkeit wiederbelebt. Eine Tradition, die durch die Aufklärung nur zurückgedrängt worden war.“ In der Lourdesgrotte erkennt Bernhard Prokisch zudem eine Form der Inszenierung wieder, die einst als „tableau vivant“, als „lebendes Bild“ sehr beliebt war. Ereignisse wurden für Gemälde oder in Theaterstücken nachgestellt. Bernadette und die Marienerscheinung wurden wie auf einer Bühne und oft in Lebensgröße inszeniert.
Zeugen einer Zeit
Bernhard Prokisch hat sich intensiv mit der Kirchenkunst des 19. Jahrhunderts befasst und nebenbei viele Lourdesgrotten zu Gesicht bekommen. Dass sie im Zuge von Innenrenovierungen aus den Kirchenräumen entfernt werden, schmerzt ihn als Historiker. „Sie sind das Dokument einer Frömmigkeit einer bestimmten Zeit, auch wenn sie theologisch als Peinlichkeit empfunden werden.“
Ein heutiger Akzent
In der Pfarrkirche Naarn hat die Künstlerin Elisabeth Czihak einen zeitgenössischen Akzent gesetzt. Die Lourdesmadonna steht frei im Raum. Durch das strahlend-blaue Schutzmantelmotiv ist die ehemalige Mariengrotte zu einem freundlichen, einladenden Ort der Besinnung geworden.