Wer mit den Sinti-Frauen Rosa Gitta Martl und ihrer Tochter Nicole Sevik spricht, hört oft die Worte „miteinander“ und „zusammenarbeiten“. Der Verein „Ketani“ für Sinti und Roma heißt auch übersetzt „miteinander“. Er wurde 1998 gegründet.
Die Nationalsozialisten haben die Sinti und Roma in „Zigeunerlager“ und Konzentrationslager deportiert. Insgesamt wird die Zahl der Opfer des systematischen Völkermordes an diesen Volksgruppen europaweit auf bis zu einer halben Million Menschen geschätzt.
Heimatrecht für Sinti und Roma
Nach der Befreiung aus der NS-Diktatur verweigerte Österreich den Sinti und Roma noch lange die Anerkennung der Staatszugehörigkeit und damit auch die NS-Opferentschädigung. Erst spät wurde den Menschen zurückgegeben, was sie vor der NS-Zeit lange hatten: Heimatrecht. Dafür war der Einsatz von Rosa Gitta Martl sehr wichtig. Sie erwirkte für ihre Mutter Rosa Winter 1991 (!) die Anerkennung der Staatsbürgerschaft. Rosa Winter stammt aus der Großfamilie Kerndlbacher aus dem Braunauer Bezirk. Von den etwa 300 Kerndlbachers überlebten nur drei die NS-Zeit. Sie waren zur damaligen Zeit durchwegs Katholiken – schon im 18. Jahrhundert finden sich zum Beispiel Einträge in den Taufmatrikeln der Pfarre Hochburg. Weit zurück lässt sich also die Beheimatung vieler Sintis verfolgen. Und dennoch blieb Österreich bis fast gegen Ende des 20. Jahrhunderts abweisend.
Sie führt Lebenswerk ihrer Mutter weiter
„Gemeinsam“ ist das Motto des Vereins für Sinti und Roma, den Rosa Gitta Martl aufgebaut hat. Zunächst galt es, sich um Menschen mit ähnlichen Schicksalen wie jenem ihrer Mutter zu kümmern. Rasch kamen weitere Aufgaben dazu. Sinti und Roma wurden und werden in sozialen Fragen unterstützt. Auch die Herausforderung wächst, zu einem guten Miteinander aller Menschen in Oberösterreich beizutragen. Dafür bekam Frau Martl 2001 den KirchenZeitungs-Solidaritätspreis. Tochter Nicole Sevik trägt nun als Geschäftsführerin des Vereins wesentlich dazu bei, dass das Lebenswerk ihrer Mutter weitergeführt wird, und versucht, „gemeinsam“ Probleme zu lösen.
Anerkennung
„Je schlechter es einem Land geht, desto schlechter geht es den Minderheiten“, betonen Rosa Gitta Martl und Nicole Sevik. Österreich sei, was den offiziellen Status der Roma und Sinti angeht, schon relativ weit. Die beiden Frauen nennen Beispiele. Etwa den Empfang durch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Parlament zum Jubiläum „20 Jahre Anerkennung als Volksgruppe“. Oder dass es in Österreich zwei Durchreiseplätze für Roma und Sinti gibt – in Linz und in Braunau. Weitere sind in Vorbereitung. Und auch den Menschenrechtspreis 2013 des Landes Oberösterreich für den Verein Ketani.
Gemeinsam!
– Dies ist ein nicht immer leicht umzusetzendes Motto in einer wieder stärker von Vorurteilen genährten Stimmung. Vorurteile sind Gift für jedes Miteinander, weil sie sich gegen etwas wenden. Etwa, wenn es in Wels um einen weiteren Durchreiseplatz in Oberösterreich geht. Oder wenn in den Schulen wieder vermehrt „Zigeuner“ als Schimpfwort gebraucht wird. Oder wenn gegen Bettler geradezu ein Volkszorn geschürt wird, dessen Futter reißerische Boulevard-Berichterstattung ist.
Vorurteile
Verallgemeinerungen sind ungerecht, ist eine der im Lärm der Vorurteile so schwer zu hörenden Gegenstimmen. Etwa wenn von einem Problem mit durchreisenden Gruppen auf alle Durchreisenden oder vom unkorrekten Handeln eines Gruppenmitglieds auf alle anderen geschlossen wird. Ketani bot sich Politikern in Wels als Vermittler im Konflikt um den Durchreiseplatz an. Rosa Martl und Nicole Sevik nehmen die Bettler in Schutz, auch wenn deren Beschimpfung als „Zigeuner“ oft nicht einmal in der Zuordnung stimmt: „Das sind selten organisierte, mafiose Banden!“ Ja, in den Familien halten sie zusammen. „Sie sind sehr arm. Wenn mein Kind hungert, ginge ich auch betteln“, sagt Nicole Sevik. Für Sinti ist Betteln übrigens fremd. „Wir waren Marktfieranten“, erzählt Rosa Martl und erinnert sich gern an gute Begegnungen, wenn sie mit ihrem Vater im Mühlviertel mit allerlei Handelswaren zu den Bauern kam.