Assam im Nordosten Indiens. Johns Vater wird Opfer von Stammeskämpfen, man findet seine Leiche auf der Straße. Eigentlich will John blutige Rache für den Mord nehmen. Doch dann kommt alles anders.
Ausgabe: indien, salesianer, thomas jerry, don bosco, krise, hilfe, 2014/30
22.07.2014
- Susanne Huber
John war ein zorniger junger Mann. Er wollte Rache. Dafür, dass sein Vater ermordet wurde. Seine Leiche fand man auf der Straße. John kommt aus Karbi Anglong, einem Distrikt im Bundesstaat Assam im Nordosten Indiens. Ein Krisenherd. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen ethnischen Völkern – im Nordosten sind das insgesamt 220 indigene Gruppen. Johns Vater wurde Opfer einer solchen Auseinandersetzung zweier rivalisierender Stämme. Rache zu nehmen, damit ist der damals 19-jährige John aufgewachsen. Doch es verlief anders.
Wut als Motor
Der junge Inder kam in Kontakt mit den Salesianern. „Es war 2003 und wir waren gerade dabei in der Region ein Friedensprogramm mit jungen Leuten aufzubauen“, erzählt Salesianerpater Thomas Jerry, einer der Referenten der Fachtagung Weltkirche in Lambach (siehe Randspalte). „Für die Menschen hier ist die Gewalt ständig präsent und wir wollten den Spieß umdrehen und eine aktive Rolle als Friedensstifter übernehmen. Jungen Menschen, die oft für die vorherrschende Gewalt verantwortlich gemacht werden, haben wir in Workshops Raum gegeben, um über ihre Gewalterfahrungen, über ihre Gefühle der Hilflosigkeit, über ihre angestaute Wut und den Zorn zu sprechen“, berichtet der langjährige Projektpartner der Dreikönigsaktion. Die Teilnehmer lernten, Wege des Dialogs zu suchen, Verhandlungen zu führen, Situationen zu analysieren. Mit der Zeit wurde diese negative Energie in positive Bahnen gelenkt. Die Wut war sozusagen ein Motor für Veränderungen in ihrem Leben. „Wir haben ihnen vermittelt, dass sie nicht Zuschauer und Opfer von Gewalt sein müssen, sondern dass sie aktiv zum Frieden beitragen können.“ John hat das damals, kurz nach dem Workshop, gemacht. Er weigerte sich bei einem anstehenden Stammeskonflikt Rache zu üben und zu töten. Und rettete damit 25 Menschen das Leben.
Wegbereiter
Heute ist John 30 Jahre alt und leitet ein Friedensteam, das Workshops u. a. zur Traumabewältigung an 40 Schulen, sechs Universitäten und in 22 Dörfern abhält. Pater Thomas Jerry, der ursprünglich aus Kerala stammt, ist Wegbereiter dieser Friedensarbeit mit Jugendlichen in Nordostindien. Sechs Jahre lang war der promovierte Soziologe zuständig für die kirchliche Jugendpastoral in den sieben nordostindischen Unionsstaaten.
Konflikthintergründe
Die Hintergründe der Auseinandersetzungen in dieser Region sind vielfältig. Es geht um Konflikte zwischen den unterschiedlichen ethnischen Völkern, dazu kommen aufständische Rebellengruppen, die seit Jahren um die Unabhängigkeit von der Regierung in Neu-Delhi kämpfen. „Es gibt auch militante Gruppen, die häufig Konflikte schüren, die sich dann auf die Bevölkerung ausbreiten. Das beginnt oft damit, dass jemand getötet wird, eine Leiche gefunden wird und dann breitet sich der Konflikt aus wie ein Feuer. Gerüchte kursieren, Leute geraten in Panik, eine Gruppe greift die andere an“, sagt der Salesianerpater. Im Bezirk Karbi Anglong, wo das Volk der Karbis die Mehrheit bildet, löst z. B. der Zustrom von muslimischen Einwanderern aus Bangladesch ständig große Unruhen aus. „Die Karbis haben Angst, ihr Land, ihre Ressourcen, ihre Identität zu verlieren. Auf der anderen Seite fordern jene, die zugezogen sind, ihre Rechte ein.“
Netzwerke aufbauen
Derzeit leitet Pater Thomas Jerry das Don-Bosco-Institut für Soziale Arbeit in Jorhat im Bundesstaat Assam. Die Studenten/innen werden auch nach ihrer Ausbildung zu Sozialarbeiter/innen unterstützt, ihre eigenen Organisationen zu gründen. Die Idee dahinter ist, ein Netzwerk von sozialen NGOs aufzubauen.