Kindliche Fantasie ist oft frappierend. Nicht immer macht das den Unterricht leichter. Aber sie ermöglicht es Kindern, Dinge zu erkennen, die man nicht sehen kann, weiß die Religionslehrerin Birgit Bydlinski („Berit“).
Ausgabe: 2014/38, Schüler, Schule, Erziehung
17.09.2014 - Dr. Birgit Bydlinski
Berit beginnt auch an einer Schule in der Nachbarstadt zu unterrichten, wo zwei Vorgängerinnen genervt das Handtuch geworfen hatten. Zunächst lernt sie die Vorschulkinder kennen. Sie bemüht sich, ihr Interesse am Religionsunterricht zu wecken, erzählt von Jesus, versucht ihnen ein Lied über Freundschaft beizubringen, merkt aber, dass sie schwer zu motivieren sind. Die Kinder schauen Berit zwar freundlich an, aber sie tun, was ihnen gerade so einfällt.
Vroni will umsorgen
Vroni will Berit offenbar ihre Zuneigung zeigen: So, wie sie ihre Puppe füttert, will sie nun Berit umsorgen. Eifrig bringt sie Plastikgeschirr aus der Puppenecke. Mit sanftem, aber unerbittlichem Zwang drängt das Mädchen sie, unsichtbare Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, mitten im Satz. „Freunde helfen einander. Sie wollen, dass es dem anderen gut geht!“, lautet dieser, und das Kind nickt bestätigend und setzte die Tasse an Berits Lippen. Die anderen Kinder beobachten ihre Reaktion. Berit geht zunächst auf das Spiel ein, tut, als würde sie trinken und sagt: „Danke, Vroni, und bitte setz dich wieder hin!“, aber Vroni geht unbeeindruckt zurück in die Spielecke, um Nachschub zu holen. Nicht nur einmal oder zweimal, obwohl Berit nun nicht mehr darauf eingeht. Nichtsdestotrotz befindet sich am Ende der Stunde das gesamte Puppengeschirr zu Berits Füßen.
Ein Parfümfläschchen als Dank
Danach ist es Zeit, die dritte Klasse kennenzulernen, und es zeigt sich, dass die anfängliche Unruhe der Kinder rasch verfliegt und sie sich aufmerksam Berit zuwenden. Am Ende der Stunde kommt Miri nach vorn und überreicht ihr feierlich eine Zeichnung. Berit bedankt sich, und Miri fragt, ob sie denn wüsste, was das Bild darstelle. „Ein Parfümfläschchen!“, ruft Berit. „Hübsch! Wie hast du es geschafft, den Sprühnebel zu zeichnen?“ „Das war ganz leicht“, ist die Antwort. „Und es ist für dich, weil du hast den Duft in unsere Klasse gebracht!“ Als Berit später ganz in Gedanken über diese beiden Erlebnisse an der neuen Schule in ihre kleine Landschule zurückfährt, um dort die vierte Klasse zu unterrichten, beginnt sie die Stunde so: „Heute möchte ich euch erzählen, dass man auch mit dem Herzen sehen kann, nicht nur mit den Augen.“ Um dies zu veranschaulichen, erzählt sie von Renato, einem Freund, der mit 16 Jahren erblindet ist und mit seiner freundlichen offenen Art buchstäblich mit dem Herzen sieht.
Die Buchstaben fühlen
Als Erwachsener arbeitet er nun als Heilmasseur und ist auf Berits Bitte hin einverstanden, vor ihren Schülern zu sprechen. Die Kinder werden auf den Besuch vorbereitet und machen sich Gedanken, wie Renato den Alltag meistert. Als es endlich soweit ist und der erwartete Gast das Klassenzimmer betritt, überreicht ihm Eos ein Geschenk: Ein kleines Holzbrettchen, auf dessen Oberfläche man „Herzlich willkommen“ ertasten kann. Eos legt Renatos Hand darauf und sagt: „Das hab ich für dich geschnitzt! Du kannst die Buchstaben fühlen!“
Meditation
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, sagt in der Geschichte Saint-Exupérys der Fuchs zum Kleinen Prinzen. Bei Kindern kommt diese Haltung zuweilen unverhofft und selbstverständlich zum Vorschein. „Er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“ (Mk 9,36f)
„Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ (Mt 18,3f) Die Offenheit eines Kindes – ob wir uns ein Beispiel daran nehmen?
In der Serie "In der Schule des Glaubens – Glaube in der Schule"
Teil 2 von 4 Dr. Birgit Bydlinski, Religionspädagogin an der Volksschule und an der AHS sowie Autorin. Gemeinsam mit ihrem Mann Georg Bydlinski hat sie ein neues Buch geschrieben: „Steffi wirbelt durch die Schule“, G&G-Verlag).
In der Serie "Glaube in der Schule", Teil 2 von 4.