Kastanien nähren nicht den Magen, wohl aber die Seele – auf eine sehr einfache Art. Schön sein genügt. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2014/40, Kastanie
30.09.2014
Schatten im Sommer – das schon – natürlich auch das Holz, aber ansonsten stehen Kastanienbäume relativ „nutzlos“ da. Wer auf Ertrag aus ist, pflanzt andere Bäume. Doch siehe da: Selbst Erwachsene bücken sich – manchmal etwas verschämt, dass keiner es sieht – nach den braunen Früchten. Schön sind sie, die Kastanien aus der Stachelhülle, wie für die Freude geschaffen. Und das genügt. Kinder versuchen, dies und jenes daraus zu basteln: Doch es ist Spiel. Erwachsene legen sie einfach auf den Tisch – als Erinnerung, dass es draußen Herbst geworden ist. Sie nähren nicht den Magen, wohl aber die Seele – auf eine sehr einfache Art. Schön sein genügt. Kastanien sind die Frucht der Genügsamkeit. Sie sagen einem: Zum Glücklichsein brauchst du nicht viel. Bücken freilich, bücken muss man sich schon darum. Wer das Glück nur von oben – von den großen Dingen – erwartet, wird es übersehen, vielleicht zertreten. Ich habe noch niemanden eine Rosskastanie kaufen sehen – auch nicht, dass sie irgendwo angeboten gewesen wäre. Irgendwie hat es diese Frucht geschafft, dass sie sich den üblichen Marktgesetzen entzogen hat. Gäbe es nur mehr davon.