Es beginnt eine neue Zeit – für alle Völker. In gewaltigen Visionen und Bildern kündigt der Prophet Jesaja sie an. Die Lesungen in den Advent-Gottesdiensten verkünden sie neu.
Ausgabe: 2014/48, Gillmayr-Bucher, KTU, Jesaja
25.11.2014 - Susanne Gillmayr-Bucher
„Tröstet, tröstet mein Volk.“ Diese Aufforderung markiert einen Wendepunkt im Buch des Propheten Jesaja. Von Kapitel 40 bis 55 finden sich fast ausschließlich Heilszusagen, die das Kommen der Herrlichkeit Gottes ankündigen und damit eine neue Heilszeit einläuten.
Bilder vom Neuanfang
Jesaja 40 bildet einen großen Auftakt zu diesen Verheißungen und signalisiert, dass die Zeit der Dunkelheit, des Frondienstes und der Schuldbewältigung an ein Ende kommt. Gott selbst erteilt in dieser Darstellung den Auftrag, diese Veränderung anzukündigen. Mit der neuerlichen Hinwendung Gottes zu seinem Volk wird das besondere Verhältnis zwischen Gott und Volk wiederhergestellt. Die Exilsereignisse – die Erfahrung, dass Gott sein Volk an andere Großmächte ausliefert und es seinem Schicksal überlässt – hatten die Beziehung zwischen Gott und Volk auf eine harte Probe gestellt, aber sie nicht ganz zerstört. Gegen die Verzweiflung und Trostlosigkeit dieser Erfahrung setzt Gott nun sein neuerliches Ja zu seinem Volk.
In großartigen Bildern wird dieser Neuanfang im Buch Jesaja den Leser/innen vor Augen gemalt: In unwegsamem Gelände, über Berge, Täler und Hügel formt sich eine Prachtstraße, auf der Gott wieder zu seinem Volk kommt und seine Herrlichkeit für die Menschen erneut sichtbar wird. Trotz dieser großartigen Vision erfolgt die Wende nicht plötzlich, zu tief sitzt die Verunsicherung. Auch können die vielen Verletzungen und Zweifel nicht mit einem Mal aus dem Weg geräumt werden. Damit erneut Hoffnung aufkeimen kann, braucht es eine starke, prophetische Stimme, die im Vertrauen auf Gott seine neuerliche Zuwendung verkündet und so den Pessimismus und die Skepsis der Menschen überwinden hilft.
Die Rolle Jerusalems
Im Buch des Propheten Jesaja kommt der Stadt Jerusalem eine Hauptrolle zu, denn sie soll den Städten Judas die Ankunft Gottes mitteilen. Jerusalem, der zunächst die Verheißung des Neuanfangs gilt, wird zugleich zur Zeugin und Freudenbotin für alle anderen. Die Bilder, mit denen Gottes heilvolle Gegenwart beschrieben wird, zeigen ihn als starken, handlungsmächtigen und zugleich fürsorglichen Gott, der sich wie ein Hirte um seine Herde kümmert, sie versorgt und führt.
Die Rolle der Frohbotin Jerusalems wird im Buch Jesaja noch weiter ausgebaut. Dabei wird vor allem die Vorstellung entfaltet, dass Gottes Zuwendung zu Jerusalem Heil für alle Menschen bedeutet. Wenn ab Jesaja 60 Jerusalem erneut als Freudenbotin auftritt, so richtet sie dementsprechend ihre Heilsbotschaft nicht nur an Israel, sondern an alle Völker (Jes 60–62). Die prophetische Bildsprache beschreibt Jerusalem zudem als Licht, zu dem alle Völker hinströmen, um dort Gott als Retter und Erlöser zu erfahren. In diesen starken Hoffnungsbildern wird aus der gedemütigten Stadt ein Ort der Verheißung und des Friedens für alle. Indem Jerusalem zum Zentrum der Welt wird, bekommt es auch neue Aufgaben zugesprochen, insbesondere die, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Auf diese Weise wird im Buch Jesaja die Stadt Jerusalem zum Symbol der Gottesgegenwart, die allen Menschen ein heilvolles, erfülltes Leben anbietet.
Jesaja im Neuen Testament und heute
Diese hoffnungsvolle Bildsprache des Buches Jesaja spielt auch im Neuen Testament eine wichtige Rolle. Insbesondere am Beginn; wenn die Evangelien einleitend über die Herkunft Jesu und seiner Botschaft reflektieren, so greifen sie dabei auch auf das Buch Jesaja zurück. Sie lesen die darin ausgedrückte Hoffnung auf das Kommen Gottes auf dem Hintergrund ihrer eigenen Zeit und sehen ihre Hoffnung in Jesus erfüllt. Wenn wir im Advent diese Texte des Buches Jesaja lesen, so stellen auch wir uns in diese Tradition und hoffen darauf, dass die Verheißung von Gottes heilvoller Gegenwart auch in unserer Zeit neu erfahrbar wird.