Wo nur die Mehrheit zählt, geht die Vielfalt verloren. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2015/8
17.02.2015
Eine wirklich gute Stadt erkennt man an ihren Seitengassen – wie es sich dort leben lässt, und ob es auch da etwas zu entdecken gibt. Da sind nicht nur die Fassaden an den Touristenrouten schön hergerichtet. Doch in Seitengassen ist es schwer, sich zu behaupten. Geschäftsinhaber und Wirte wissen ein Lied davon zu singen. Der „Strom“ der Leute zieht vorbei. Die große Aufmerksamkeit gilt jenen „Schauplätzen“, an denen ohnehin schon viel los ist. Dort laufen die Geschäfte. Eine Spirale kommt in Gang. Präsentiert und hofiert wird, wer ohnehin schon einen Namen hat, geredet wird davon, was längst in aller Munde ist. Das Buch des Bestsellerautors wird zum Erfolg, bevor es noch gedruckt ist, die Preise der Werke renommierter Künstler steigen ins Unvorstellbare. Wir leben in einer Zeit, in der das Viele zählt. Auf die große Menge, die Mehrheit kommt es an. Aber wo nur die Mehrheit zählt, geht die Vielfalt verloren. Auch eine Demokratie gelingt nur, wenn sie nicht bloß auf Mehrheit, sondern auch auf Vielfalt aus ist. Das braucht Aufmerksamkeit für das Kleine, noch Unbekannte und Unscheinbare. Es ist wie in der Stadt: In den Hauptstraßen glänzt alles. Aber leben will dort niemand mehr.