Maria Pichlmann aus Roitham arbeitete als Krankenschwester auf der Palliativstation des Klinikums Wels-Grieskirchen. Dort hatte sie mit einem Patienten ein Auferstehungsgespräch, ohne dass dabei das Wort Auferstehung fiel.
Auf der Station lag ein 52-jähriger Mann mit Lungenkrebs im Endstadium. Es war abzusehen, dass er bald sterben wird. Man kann das natürlich nicht auf Tage genau sagen, aber er würde die Station nicht mehr lebend verlassen – da gab es keinen Zweifel. Da er eine Zigarette rauchen wollte, habe ich ihn ins Raucherzimmer gefahren – im Bett, denn er konnte nicht mehr gehen. Er zündet sich eine Zigarette an. Da fängt er plötzlich aus heiterem Himmel zu schimpfen an. Und wie. Ich bin richtig erschrocken. „Alles ist umsonst. Was war denn das Leben überhaupt? Nichts bringt etwas. Mit dem Tod ist sowieso alles aus.“
Der Blick durchs Fenster
In diesem Zusammenhang ist auch sein Wunsch zu sehen, unbedingt noch zu rauchen. Es war seine Art, sich gegen das Schicksal aufzubäumen: „Es ist eh alles wurscht, sterben tu ich sowieso.“ Rauchen war das Einzige, was er noch selbst tun konnte, und an dem hat er festgehalten, um vermutlich gegen die Sinnlosigkeit, die er in sich gespürt hat, zu protestieren. Und plötzlich sagt er zu mir: „Was glauben Sie denn?“ Mein Blick fiel durchs Fenster in den Garten hinaus. Es war Frühjahr. An den Knospen waren die ersten Spitzen der Blätter zu sehen. „Schauen Sie hinaus in die Natur“, habe ich ihm gesagt: „Da, sehen Sie, die Knospen, die gerade aufspringen, bald werden daraus Blätter kommen und alles wird grün. Und denken Sie an den Herbst, wenn die Bäume Früchte tragen. Kann man sich da vorstellen, wie der Baum vor wenigen Monaten noch ausgeschaut hat? Kahl, leer, wie tot. Nach außen hin hat man dem Baum das Leben nicht angesehen. Trotzdem hatte er eine Lebendigkeit in sich. Warum soll das nur in der Natur so sein und nicht auch bei den Menschen? Warum soll ein Mensch im Kreislauf seines Lebens weniger sein als ein Baum in der Natur?“
Unüberhörbarer Zynismus
Ganz skeptisch hat er mich angeschaut. Der zynische Unterton war nicht zu überhören, als er gemeint hat: „Und das glauben Sie? Das wollen Sie mir sagen?“ „Ja, das ist meine Überzeugung“, habe ich ruhig geantwortet. Dann war Stille. Ich habe ihn ins Zimmer zurückgebracht, die Klingel angeschlossen und einige Dinge um das Bett gerichtet. Da bricht er das Schweigen. „Stimmt das wirklich, was Sie da gesagt haben, glauben Sie das wirklich?“ – Ich habe nur „Ja“ geantwortet. Kein Wort mehr. – „Wenn das so ist, brauch ich mich vor dem Sterben nicht fürchten“, hat er dann gesagt.
Friedlich entschlafen
Das war an einem Donnerstag. Am Samstag ist er dann entschlafen. Ich verwende das Wort bewusst: Friedlich entschlafen – vermutlich weil er sich mit seinem Schicksal versöhnt hat. Ich möchte nichts überinterpretieren und behaupten, dass er zum Glauben an die Auferstehung gefunden hat, aber vielleicht war er auch nicht weit davon entfernt. Das Gespräch mit diesem Patienten ist mir in Erinnerung geblieben. Mich freut, dass ich ihm Hoffnung und eine Perspektive geben konnte. Auch wenn ich die Worte Gott und Auferstehung nicht verwendet habe – für mich war es ein Glaubenszeugnis. Ich bin auch fest überzeugt, dass mir der Heilige Geist beigestanden ist. Denn ich wusste momentan überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Da hat mich der Blick durchs Fenster auf die Bäume gerettet.
Zur Sache
Wir leben vom Glauben der anderen
Was hilft einem Menschen, der verzweifelt darüber ist, dass mit dem Tod alles zu Ende sein soll, und nicht an ein ewiges Leben glauben kann, nicht zu hoffen wagt, dass alles gut wird? – Diese beklemmende Frage holt nicht nur Menschen ein, die mit dem Glauben nichts anfangen können. Der weit über Oberösterreich hinaus bekannte P. Berthold Mayr aus Wels – er ist vor drei Wochen verstorben – hat in einem Interview mit der KiZ gesagt: „Allein können wir zu wenig hoffen.“ Unzählige Menschen hat er als Priester getröstet, in schwerer Krankheit hat er als 87-Jähriger selbst die Erfahrung gemacht, wie schwer das Glauben ist. „Das Geheimnis drückt“, hat er gemeint. Vor allem wenn man allein ist. Deshalb hält er die Kirche für so wichtig: „Wir brauchen sie als Gemeinschaft, die die Ungläubigkeit der Menschen erträgt oder deren Glaubensschwierigkeiten aushält. Dann wird Kirche zu einem Ort, wo meine Vereinzelung überwunden wird. Wo ich angenommen werde, wie ich bin, dort kommt Hoffnung rüber – die Hoffnung, dass es mit meinem Leben gut geht und dass es Gott wirklich gibt.“
Glaube zum Anhalten. Was P. Berthold Mayr beschrieben hat, hat Maria Pichlmann getan. Sie hat durch ihre einfachen Worte, mit denen sie von ihrem Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod gesprochen hat, dem todkranken 52-jährigen Mann etwas zum Anhalten gegeben, nämlich ihren Glauben. Und er hat ihn ergriffen, wie seine Reaktion zeigt. Er findet aus seinem Eingekapselt-Sein heraus und Hoffnung bricht auf: „Wenn das so ist, brauch ich mich nicht zu fürchten.“
Seinen Glauben herborgen. Schon das Markusevangelium erzählt von der Bedeutung des Glaubens der anderen, genaugenommen von vier Männern. Es ist einfach kein Durchkommen zu Jesus, so umlagert ist er. Da steigen die Männer aufs Dach, brechen es auf und lassen einen Gelähmten auf einer Tragbahre direkt vor die Füße Jesu hinab. Jetzt kommt’s: „Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten ...“ Nicht um den Glauben des Kranken, sondern den der Träger geht es. Von ihrem Vertrauen zu Jesus weiß sich der Gelähmte getragen. Glücklich, wer solche Menschen um sich hat.
Josef Wallner