Christus ist auferstanden und begegnet seinen Jüngern. Doch wie soll man sich die Begegnung mit dem Auferstandenen vorstellen?
Ausgabe: 2015/16, Auferstehung, Jesus, Wandinger
14.04.2015 - Nikolaus Wandinger
Die Berichte des Neuen Testaments von den Erscheinungen des Auferstandenen zeigen eine interessante Spannung: Zum einen wird betont, dass er wirklich derselbe ist wie der Gekreuzigte, ja dass er sogar die Wundmale noch am Körper trägt. Zum anderen berichten die Evangelien immer wieder, dass er zunächst nicht erkannt wird. Dann wird auch berichtet, dass Jesus mit seinen Jüngern wieder gegessen und getrunken hat, anderseits, dass er plötzlich durch verschlossene Türen hereinkam und sogar einmal 500 Menschen zugleich erschien (vgl. 1 Kor 15,6). Irgendwie passt sich das nicht ganz zusammen, ist man versucht zu sagen, Entweder-Oder, aber nicht beides. Es könnte aber auch sein, dass diese Spannung die Weise ist, wie uns das Neue Testament zeigen will, dass der Auferstandene in eine neue Art der Existenz übergegangen ist. Diese ist nicht eine leiblose Geistigkeit, ein Neubeginn aus nichts, sondern die Vergangenheit mitsamt ihrem Leidvollen gehört nach wie vor zum Auferstandenen, aber sie definiert ihn nicht. Die Wunden schmerzen nicht mehr, obwohl sie Teil Jesu sind. Die neue Art der Existenz ist aber auch nicht eine bloße Fortsetzung des alten Lebens, so dass man – wie in manchen Filmen – durch die Löcher in den Händen Jesu schauen könnte. Wenn es so wäre, dann wäre nicht verständlich, wieso die Menschen Jesus zuerst nicht erkennen. Nein, das Neue Testament bemüht sich uns zu zeigen, dass der auferstandene Jesus derselbe und doch ganz anders ist.
Überwältigt
Gerade die Begegnung mit Thomas macht dies besonders deutlich. Thomas war ja bekanntlich nicht dabei, als die anderen Jesus gesehen hatten. Er glaubte ihren Berichten nicht, sondern stellte seine eigenen Regeln auf: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ (Joh 20,25). Eine Woche später erscheint Jesus wieder und fordert Thomas auf, genau das zu tun, was er sich vorgenommen hat. Große Künstler haben dargestellt, wie Thomas die Wundmale Jesu untersucht, und so hat sich das Bild festgesetzt, dass es so gewesen sein muss. Nur: Das Johannesevangelium erzählt es anders: Nachdem Jesus den Thomas aufgefordert hat, ihn zu untersuchen, antwortet dieser sofort: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28) Offensichtlich ist Thomas von der Begegnung mit Jesus so überwältigt, dass die Regeln, die er selbst aufgestellt hat, überflüssig geworden sind. Geht es nicht auch uns oft so, dass wir an Gott, an Jesus, an der Wahrheit des Glaubens zweifeln, weil die Realität eben dunkler, bitterer und rauer zu sein scheint, als wir es gerne hätten? Und dann kann es sein, dass auch wir Regeln dafür aufstellen, was Gott tun müsse, damit wir glauben: diesen oder jene gesund machen, reich machen, glücklich machen, Frieden auf der Erde herstellen – und was nicht noch alles; alles durchaus sinnvolle und gute Dinge. Aber wenn wir sie als Test festsetzen, den Gott bestehen muss, damit wir an ihn glauben, dann wird er sich darauf nicht einlassen – oder?
Unerwartet
Ganz so einfach ist es nicht. Jesus hat dem Thomas ja geholfen zum Glauben zu kommen. Er ist ihm auf eine Weise erschienen, die ihn so überwältigt hat, dass er auf seine Kriterien verzichten konnte. Gott wird sich also auch unseren Testkriterien nicht unterwerfen. Aber: Er wird auch uns auf ganz unerwartete Weise erfahren lassen, dass er lebt und für uns da ist, und er wird damit unsere Kriterien überflüssig machen. Nur die Offenheit dafür, von Gott überrascht zu werden, macht es möglich, die Auferstehung wahrzunehmen.