Im Halb-Jahres-Rhythmus wechselt die Vorsitzführung im Bundesrat. Ab 1. Juli ist wieder der Ennser Gottfried Kneifel Bundesratspräsident. Aus diesem Anlass sprach die KirchenZeitung mit ihm.
Ausgabe: 2015/27, Kneifel, Bundesrat, Europa, EU
30.06.2015 - Ernst Gansinger
Hat die zweite Kammer als Bundesländer-Kammer noch einen Sinn? Ist es überhaupt sinnvoll, Bundesländerinteressen zu behaupten? Sollten wir nicht in Europa das Eigenbrötlerische überwinden? Bundesratspräsident Gottfried Kneifel: Ja, die zweite Kammer macht Sinn! Alle klassischen Demokratien haben ein Zwei-Kammer-System. Zwei Drittel der Europa-Einwohnerinnen und -Einwohner leben in Staaten mit Zwei-Kammer-Systemen. Ohne eine zweite Kammer sind Griechenland, Portugal, Malta, Zypern, die kleinen baltischen Staaten, Ungarn. Es waren die Länder, die zwei mal die Republik gegründet haben. Der Bundesrat sichert das Mitspracherecht der Länder in der Bundesgesetzgebung!
Aber muss die zweite Kammer eine Bundesländer-Kammer sein? Kneifel: Man kann auch über eine Auflösung des Bundesrates reden. Aber was kommt dann? – Gibt es bessere Möglichkeiten der Länder-Mitbestimmung? Sind wir denn in erster Linie keine Europäer, keine Österreicher sondern Oberösterreicher? Kneifel: Ich bin zuerst ein Ennser, dann ein Oberösterreicher, ein Österreicher und erst dann ein Europäer.
Wie kann ein Bundesrat im zusammenwachsenden Europa eine Rolle spielen? Kneifel: Der Bundesrat hat eine Scharnierfunktion zwischen EU, Bund und Ländern. Er entwickelt sich immer mehr zur österreichischen Europakammer. Seit dem Lissabon-Vertrag hat er neue Kompetenzen durch die Mitsprache in der Europa-Gesetzgebung. Mit der Subsidiaritätsprüfung prüfen wir die Ländertauglichkeit von EU-Normen. Wir haben auch vor kurzem das Rederecht für Mitglieder des Europäischen Parlaments im Bundesrat eingeführt. Am 2. Juli nehmen Minister Kurz und Mitglieder des Europaparlaments aller Fraktionen an der aktuellen Europastunde im Bundesrat teil. Auch Landeshauptmann Pühringer wird sprechen. Er ist jener Landeshauptmann, der das Rederecht im Bundesrat am meisten nützt. Im Nationalrat können die Landeshauptleute das Wort nicht ergreifen! Was kann der Bundesrat im politischen Gesamt tun? Können Sie ein Beispiel nennen? Kneifel: Der Bundesrat ist Bestandteil der Gesetzgebung. Der Nationalrat ist derzeit sehr rückblickend aktiv. Der Untersuchungsausschuss blockiert etwa 60 Prozent seiner Energie. Der Bundesrat hat keinen Untersuchungsausschuss und blickt voraus: Mein Thema der nächsten Monate sind die Konsequenzen der Digitalisierung für Arbeitswelt, Wirtschaft, Demokratie, Staat und Gesellschaft. Ich habe dazu einen Experten-Beirat gegründet, der mich berät [Plattform: www.besserentscheiden.at]. Am 18. November veranstalte ich eine parlamentarische Enquete mit dem Ziel, die Probleme und Handlungsfelder für das Parlament aufzuzeigen.