Rituale begleiten das menschliche Leben. Sie sind wie Ankerplätze, die uns im Getriebe des Alltags Halt und Innehalten geben. Gerade in schwierigen Lebenssituationen können Rituale wertvolle menschliche und religiöse Brücken sein, um Unsicherheit, Sprachlosigkeit und Glaubensnot zu überwinden.Die kleine Julia kann nur dann gut und tief schlafen, wenn die Mama und der Papa ihr einen Gute-Nacht-Kuß geben und ein Kreuz auf die Stirn zeichnen: „Der liebe Gott beschütze dich . . . Schlaf gut!“ Dann zieht sie die Bettdecke bis zum Hals und schläft ein. Was hier allabendlich passiert, ist ein Ritual. Ein Abendritual mit Segen. Die Eltern spenden ihrer Tochter einen Segen und handeln so wie ein Priester, kraft ihres allgemeinen Priesteramtes, das sie von der Taufe her in sich tragen. Ein heilsamer SchatzKranken Menschen und deren Angehörigen tun Rituale besonders gut. Sie können die Angst besser bannen als viele aufgeregte Worte. Sie helfen das Leben zu ordnen, fügen zusammen, was auseinanderzufallen droht, geben ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, aber machen auch klar, daß dieser Mensch jetzt krank ist. Das ist es, was oft guttut: das Schlimme wird nicht verdrängt, sondern ausgesprochen. In religiösen Ritualen wird der Mensch verwiesen auf etwas Größeres, auf Gott, den „Heilbringer“. Die Kirche birgt einen vielfältigen Schatz an solchen heilsamen religiösen Ritualen. Da gibt es große und wichtige, wie die sieben Sakramente, aber auch kleine und unscheinbare, wie Kerzchenanzünden und Weihwasserspenden. Ein Beispiel für ein Gemeinschaftsritual mit Krankensalbung: Die Ehefrau des Kranken hat die Initiative ergriffen und zu einem ausgemachten Zeitpunkt Angehörige und Freunde zusammengerufen. Alle wissen, worum es geht. Die Situation ist „stimmig“. Es sind ungefähr zehn Leute da. Eine Frau liest einen Abschnitt aus der Hl. Schrift, ein anderer entzündet eine Kerze und sagt etwas dazu, einen Wunsch oder einen Segen für seinen Freund, der da krank ist. Der Priester spendet die Krankensalbung, er salbt seine Stirn und Hände. Dann halten alle Stille. Es wird ganz ruhig im Krankenzimmer. Man muß nichts reden. Das entlastet. Zum Schluß nehmen sich alle bei der Hand, nehmen den Kranken in ihre Mitte und beten das Vaterunser. In Zeiten, da Leistung, Kraft und Gesundheit hoch im Kurs stehen, gibt so etwas einem Kranken Anerkennung und Wert für sein hinfälliges Leben. Es reißt ihn aus dem Sog des Negativen und kann ihn zu Gott hin öffnen. Berühren und BetenNeben solchen Gemeinschaftsritualen gibt es auch die erwähnten kleinen, persönlichen Rituale. Häufig erfinden Menschen, die mit Kranken zu tun haben, ganz eigene und persönliche Rituale. Solche können u. a. sein:u Berührungsrituale: Wenn die Beziehung und die Atmosphäre „stimmt“, kann man dem Kranken die Hände auflegen oder jene Stellen berühren, die weh tun. Wenn wir das im Glauben tun, ist es Christus selbst, der uns berührt. u Gebet: Kranke sagen häufig mit Enttäuschung in der Stimme: „Ich kann nicht mehr beten, ich möchte gern, aber ich bringe kein Gebet zu Ende!“ Ich bringe dann ein kurzes, einfaches Gebet mit und bete es vor. Der Kranke wiederholt es Satz für Satz. Und ich sage ihm, daß ein Gebet nicht von der Anzahl und Brillanz der Worte abhängt, sondern von der Sehnsucht nach Gott. u Lichtrituale: Ich bringe einer kranken Frau eine Kerze mit. Wir schweigen vor der brennenden Kerze. Zum Schluß gebe ich einen „Lichtsegen“: „Christus ist das Licht der Welt. Dieses Licht mache dein Herz hell und vertreibe den Kummer . . . Im Namen des Vaters . . .“ Oder ich verspreche ihr, ein Kerzchen in der Kapelle oder daheim anzuzünden. u Weihwasser: Statt mit dem Fernsehen einzuschlafen – das gängige Abendritual der westlichen Welt – , kann der Kranke seinen Tag so beschließen: er gibt allen, die er mag und die ihn pflegen, mit einem Dank, vielleicht auch mit einer Verzeihung, Weihwasser und segnet sie (bene dicere – Gutes zusagen).