„Die Versöhnung der Völker“ – Was kann ich da schon viel tun?
Ausgabe: 1999/43, Christentag, Diplomaten
27.10.1999 - Dr. Christian Marte
Man darf bezweifeln, ob die Versöhnung der Völker ein Thema ist, das die Menschen in Österreich anspricht, das sie „packt“. Die Komplexität der Konflikte läßt uns auch nach ausführlichen Medienberichten oft hilflos zurück. Wie viele Österreicher können eine aktuelle Landkarte des ehemaligen Jugoslawien zeichnen, und wer kann alle Streitparteien auseinander halten? Was uns in unserer europäischen Nachbarschaft schon schwer fällt, misslingt meist völlig bei Konflikten in Asien (Was ist in Indonesien los?), Afrika (Sudan: Wer kämpft gegen wen?) oder Lateinamerika (Worum geht es in Kolumbien?).Der Einzelne fühlt sich überfordert. Wir delegieren die Versöhnung der Völker an die Diplomaten, die UNO, an Friedenskonferenzen und Eingreiftruppen. Zugleich ärgern wir uns über die „hohlen Friedenssprüche“ und über „unangemessene Mittel“.
Vielleicht sind wir aber in Wirklichkeit nich überfordert, sondern unterfordert. Vielleicht machen wir es uns zu leicht, wenn wir simple Freund-Feind-Schemata verwenden. Vielleicht würde uns etwas historisches Wissen helfen, uns in den Standpunkt der verschiedenen Konfliktparteien hineinzuversetzen. Vielleicht wären wir dann zurückhaltender im Urteil.
Konflikte – ob in der Nachbarschaft oder in der Ferne – sie betreffen uns, nicht nur wegen möglicher Flüchtlinge. Als Menschen in der einen Welt tragen wir auch Verantwortung für andere. Um unseren Beitrag zur Versöhnung zu leisten, genügt nicht allein guter Wille, dazu bedarf es der „Unterscheidung der Geister“ und ein gewisses Maß an Professionalität.
Zwischen Gut und Böse
Wer vermittelt heute glaubwürdig die Unterscheidung zwischen Gut und Böse? Die Vermittlung fundamentaler Werte ist eine zentrale Aufgabe religiöser Erziehung. Man braucht kein Kulturpessimist zu sein, um hier ein gewisses Vakuum festzustellen, das von Dutzenden TV-Kanälen vergeblich zu füllen versucht wird.Europa baut auf einem Wertefundament auf, das ganz wesentlich von den christlichen Kirchen gelegt wurde. Die Würde des einzelnen Menschen findet dort ihren Ursprung. Wenn Anspruch und Wirklichkeit religiöser Wertevermittlung nicht zu weit auseinander klaffen, so ist diese Wertevermittlung gerade in einer wohlhabenden Gesellschaft wie der österreichischen ein gutes Gegenmittel gegen Gleichgültigkeit.
Christliche Kirchen müssten auch heute noch in der Lage sein, diese Gleichgültigkeit zu erschüttern, wenn sie durch glaubwürdige Vertreter Fragen nach Glauben und Gerechtigkeit stellen: Was ist fair, was ist unfair? Was ist gerecht, was ist ungerecht? Wo ist die Not am größten?
Katastrophe Krieg
Der Krieg ist jene menschen-gemachte Katastrophe, die das Anliegen der „Versöhnung der Völker“ am dringendsten macht. Daher sind Initiativen und Szenarien, die auf eine gewaltlose (gewaltarme) Lösung von Konflikten hinarbeiten, mit allem Nachdruck zu fördern. Dabei gibt es für den Einzelnen mehr Betätigungschancen, als er denkt, vom der Unterstützung öffentlicher Kampagnen bis zum persönlichen Engagement als Friedensdiener.Im Falle des Krieges muss darauf geachtet werden, daß die Gewalt nicht vollständig entgrenzt wird, etwa durch die massenweise Ermordung oder Vertreibung von Zivilisten, wie das in den Jugoslawien-Konflikten geschen ist. Vor 50 Jahren wurden dazu die vier Genfer Abkommen beschlossen – sie sollen durch eine „Humanisierung“ des Krieges für die Zeit danach nicht alle Versöhnungschancen verschütten. Zu dieser Versöhnung gehört auch das berechtigte Anliegen der Opfer des Krieges, dass die Täter benannt und bestraft werden. Der Internationale Strafgerichtshof ist ein wichtiger Schritt dazu.
Guter Wille ist zu wenig
Wer zur Versöhnung der Völker beitragen will, kann das auch als einzelner tun. Dabei kann und darf es aber nicht beim Appell an das Mitgefühl von Entscheidungsträgern bleiben. Entscheidend ist der Sachverstand und die Professionalität in der Argumentation und Präsentation der Anliegen. Als Beispiel sei hier das weltweite Verbot von Anti-Personen-Minen genannt; dies war im Ursprung nicht das Werk von Diplomaten, sondern engagierter Bürger, darunter auch vieler, die in christlichen Gruppen organisiert waren. Die Mobilisierung der öffentlichen Meinung ist ein außerordentlich starkes (Macht-) Mittel, das für die gute Sache eingesetzt werden kann. Das Engagement einzelner kann die mediale Tagesordnung beeinflussen: denken wir an den Schuldennachlass für arme Länder. Auch für die Versöhnungsarbeit gilt: Dem Wollen muss das Können folgen, denken wir etwa an die Chancen, die moderne Informationssysteme wie das Internet bieten. Überlassen wir sie nicht nur den Konfliktparteien.
Dr. Christian Marte, derzeit Novize bei den Jesuiten, war stv. Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes.