Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre verpflichtet, ein neues Klima zwischen den Kirchen aufzubauen.„Nach dieser Zeit werden Leut sein und unsere Nachkommen, die sehr viel anders und mit mehr Vertrauen von diesen Sachen urteilen werden“, schreibt Philipp Melanchthon. Luthers reformatorischer Weggefährte schreibt das in der Apologie der Augsburger Konfession, jenes reformatorischen Bekenntnisses von 1530, in dem es zentral um die Rechtfertigungslehre geht. Diese „Leut“ sind gekommen, und die Frucht ihres „mit mehr Vertrauen urteilen“ ist die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Vertreter der römisch-katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirchen haben sie am 31. Oktober 1999 in Augsburg feierlich unterzeichnet. Langjährige Studien sind ihr vorausgegangen. Doch ohne die den theologischen Bereich weit überschreitende Erfahrung und Anerkennung des Wirkens des Heiligen Geistes (auch) in der anderen Kirchengemeinschaft wäre die Erklärung nicht möglich gewesen.
In ihr wird eine Belastung aufgearbeitet, die in Reformation und Gegenreformation als wesentlicher Grund der Kirchentrennung galt. Daher kann die Bedeutung eines solchen offiziellen Schrittes – weder von einer als vorauseilend apostrophierten „Basis“ noch von einigen ökumenisch gesinnten Theologen, sondern von den Kirchen amtlich verbindlich vollzogen – kaum überschätzt werden; auch wenn es Stimmen gibt, die vor „Jubelökumene“ warnen und vor allem „Streitkultur“ einfordern. Ist ein neues Miteinander kirchlich (noch) getrennter Christen sozusagen das „Fleisch“ der Ökumene, so ist die Feststellung rechtmäßiger gemeinsamer Lehre gewissermaßen ihr „Rückgrat“.
Die Konsequenz aus dem offiziell festgestellten Konsens ist für das Verhältnis der Kirchen zueinander theologisch und atmosphärisch wichtig, denn: „Damit erscheinen auch die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts, soweit sie sich auf die Lehre von der Rechtfertigung beziehen, in einem neuen Licht: Die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der lutherischen Kirchen wird nicht von den Verurteilungen des Trienter Konzils getrofffen. Die Verwerfungen der lutherischen Bekenntnisschriften treffen nicht die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der römisch-katholischen Kirche“ (Art. 41).
Heilsame Warnung
Hat also das Konzil geirrt? Die Erklärung stellt dazu fest: „Dadurch wird den auf die Rechtfertigungslehre bezogenen Lehrverurteilungen nichts von ihrem Ernst genommen. Etliche waren nicht einfach gegenstandslos; sie behalten für uns ,die Bedeutung von heilsamen Warnungen‘, die wir in Lehre und Praxis zu beachten haben“ (Art. 42). Warnungen vor Einseitigkeiten und Überspitzungen, die ein berechtigtes Anliegen ins Falsche führen können, damals wie heute. Es muss wohl ein Grund zur Freude sein, wenn nun ohne Bruch mit der eigenen Identität und im Bewusstsein unterschiedlicher theologischer Ausgestaltung und praktischer Akzentsetzung Katholiken wie Lutheraner dennoch ohne Schwindelei sagen können: „Das in dieser Erklärung dargelegte Verständnis der Rechtfertigungslehre zeigt, dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht“ (Art. 40). Die in der Geschichte des Verhältnisses unserer Kirchen immer wieder anzutreffende Tendenz, die eigene Identität vor allem aus dem Gegensatz zum anderen zu bestimmen, muss damit als in ihrem Fundament erschüttert angesehen werden.Letzter Teil der Kurzserie.
Univ.-Prof. Johann Werner Mödlhammer, Spezialist für reformatorische Theologie, schreibt über Hintergründe und Auswirkungen der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“.