Seit Angela Merkel in der Flüchtlingskrise sagte: „Wir schaffen das“, weht ihr ein rauer Wind entgegen. Doch vergangene Woche bewies die deutsche Kanzlerin etwas, das auch jenseits der Politik rar geworden ist: Das Stehen zur eigenen Meinung.
Ausgabe: 2015/42, Kanzlerin, Merkel, Flüchtlingskrise, Politik,
13.10.2015
- Heinz Niederleitner
Kein Politiker kann Meinungsumfragen ignorieren. Doch extensives Schielen nach dem, was beim Wähler ankommen könnte, kann dazu führen, dass Politik beliebig wird. Zumindest im Fall der Flüchtlingskrise kann man das Merkel nicht vorwerfen: Sinkenden Umfragewerten und harter Kritik zum Trotz wiederholte die promovierte Physikerin vergangene Woche: „Ich möchte mich nicht an einem Wett- bewerb beteiligen, wer am unfreundlichsten zu den Flüchtlingen ist, und dann werden sie schon nicht kommen.“ Zweifellos kann man kritisieren, dass die 61-Jährige keine Lösung nennt. Ob der Satz „Wir schaffen das“ wahr wird, ist offen. Die Standhaftigkeit der Kanzlerin beeindruckt aber.
Unterstützung
Dabei scheut sich Merkel, die seit zehn Jahren an der Regierungsspitze steht, auch nicht, die Quelle ihrer Werte zu nennen: „Ich bin Vorsitzende einer christlichen Partei.“ „Entschlossenen Protestantismus“ nannte das die Zeitung „Die Welt“. Dieser findet jedenfalls konfessionsübergreifend Zustimmung: Kardinal Woelki (Köln) versprach der Kanzlerin in dieser Frage „Unterstützung ohne Wenn und Aber“. Merkel, die als Pfarrerstochter in der DDR zur evangelischen Konfirmation statt zur „Jugendweihe“ des Regimes ging, wurde im September mit Ängsten vor einer „Islamisierung“ konfrontiert: „Haben wir doch den Mut, zu sagen, dass wir Christen sind“, plädierte die in zweiter Ehe mit dem Chemieprofessor Joachim Sauer verheiratete Politikerin. „Haben wir dann aber auch bitteschön die Tradition, mal wieder in einen Gottesdienst zu gehen oder ein bisschen bibelfest zu sein.“ Da sieht sie Mängel: „Wenn Sie mal Aufsätze in Deutschland schreiben lassen, was Pfingsten bedeutet, dann würde ich mal sagen, ist es mit der Kenntnis übers christliche Abendland nicht so weit her.“