Ausgabe: 1999/52, Kopf der Woche, Papst, Weltenrichter
28.12.1999
- Walter Achleitner
Ob Christus wieder kommen wird, stand für Michelangelo außer Zweifel. Vielmehr wie das Jüngste Gericht sein sollte, prägt das Meisterwerk in der Sixtinischen Kapelle, die nun in altem Glanz erstrahlt.
Nicht nur viele Wissenschafter waren skeptisch, als die weltberühmteste Darstellung des Jüngsten Gerichts nach ihrer Renovierung enthüllt wurde. In ungewohnter Farbenpracht richtet da Jesus, seine Mutter zur Rechten, in Gute und Böse. Doch das Säubern der Seitenfresken gab nun auch den Szenen aus dem Leben Mose und Jesu einen leuchtenden Ton. Sie zeigen, dass Michelangelos Farbspektakel beim Weltgericht nicht vom Himmel gefallen ist. „Diese Arbeit“, so der zuständige Kardinal Edmund Szoka, „erlaubt uns, die Gemälde so zu betrachten als hätten wir die Chance gehabt, im 15. Jahrhundert dabei zu sein.“ Einziger Unterschied: das schöpferische Malen hatte nur halb so lange gedauert wie das konservative Restaurieren (gesponsert mit 40 Millionen Schilling von einem japanischen Medienkonzern, der sich damit die Foto- und Videorechte bis 2000 sicherte).
Der nach Sixtus IV. benannte und vom Grundriss (40,23 x 13,41 Meter) auf den Tempel Salomons zurückgehende Bau kann nach 20 Jahren wieder ohne Absperrungen, Gerüste und Schutzplanen betreten werden. Über zwei Millionen Touristen bewundern hier die einzigartige Verbindung von Kunst und Religion. Doch nicht nur das macht die vatikanische Palastkapelle so bedeutungsvoll: Auch der Nachfolger Petri wird hier gewählt, unter dem Bogen von Adams Erschaffung bis zum unbekannten Ende der Zeiten.
„Dieses Kunstwerk lässt einen vom Mysterium erfüllt sein in einer Sprache, die niemals alt wird.“