Wer die bunten Blätter des Herbstes als Schönheit empfindet und nicht als welkes Überbleibsel des Sommers, der erkennt auch im Herbst des Lebens die positiven Seiten. Und entdeckt die mitunter verborgenen Reize von Nebelgrau.
Ausgabe: 2015/44, Alter, Sonioren, Herbst, Bock
27.10.2015 - Brigitta Hasch
„Wer alles schwer nimmt, wird nie einen guten Tag haben“, heißt es in einem Sprichwort. Mit dieser Einstellung wird man auch das Älterwerden nicht genießen können, sondern vielmehr um die vergangenen Tage der Jugend trauern. Und das ist schade, denn der Herbst des Lebens hat viel zu bieten, meint die Familien- und Lebensberaterin Susanne Bock.
Entlang der Jahreszeiten
Die Entwicklungsphasen des menschlichen Lebens verlaufen ähnlich den Jahreszeiten der Natur. Jeder Abschnitt hat beim Wachstum auf der Erde seine besonderen Aufgaben, Eigenarten und Schönheiten. So ist es auch im menschlichen Leben.
- Der Frühling ist die Zeit des Wachstums, der Entwicklung und der Entfaltung. Im Frühling werden Kinder nicht nur groß, sie lernen täglich neue Dinge kennen – sei es Wissen, seien es soziale Talente, seien es auch Grenzen. Mit diesen Kenntnissen wachsen ihre Fähigkeiten, bis sie schließlich selbstständig werden.
- Der Sommer ist eine sehr geschäftige Jahreszeit – in der Natur wie im Leben. Hier gewinnen die Pflanzen an Kraft, gedeihen, blühen und erstrahlen. Da sind es junge Menschen, die ebenfalls in der Blüte ihres Lebens stehen. Sie heiraten, gründen Familien, entwickeln sich beruflich weiter oder unternehmen Reisen. Sie machen in dieser Phase oft die Nacht zum Tag und strotzen nur so vor Energie. Im Rückblick kommt einem diese Fülle an Aktivitäten fast unheimlich vor.
- Der Herbst ist die Zeit der Reife und der Ernte. Viele Früchte entwickeln erst im Herbst ihren süßen Geschmack. Und auch das Leben kann in dieser Phase noch einmal bunter und vielfältiger werden.
Rückschau ohne Wehmut
Man hat vieles erlebt und erreicht, ein Rückblick macht stolz. Egal ob beruflich oder privat – es kommt nicht auf die Details an, man betrachtet das Ganze wie ein Bild aus der Distanz. Wen stören da schon kleine Unebenheiten? Das Gemälde in seiner Gesamtheit ist gelungen, das ist es, was zählt und was Kraft gibt. Und trotzdem sehnen sich nicht wenige zurück. Nicht gleich nach dem Frühling, aber doch nach dem Sommer. Was man da noch alles konnte! Heute zwickt es hier und dort. Der Körper zeigt immer deutlicher Grenzen auf, die Kräfte schwinden. Man benötigt mehr Pausen, ein Mittagsschläfchen oder vielleicht eine Gehhilfe.
Farbbrillen für den Herbst
„Ich muss doch gar nicht mehr alles machen“, ermuntert Susanne Bock zu einem optimistischen Blick. Sie richtet ihren Fokus auf die Vorteile, die man nun genießen kann, und setzt dazu verschiedene Brillen in den Farben des Herbstes auf:
Orange
Eine fröhliche, warme Farbe, die bei Susanne Bock für „Geselligkeit“ steht. Im Laufe des Lebens hat man viele Menschen kennengelernt. Nun ist es Zeit, Freundschaften zu vertiefen und soziale Netzwerke zu festigen. „Erstens hat man jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, mehr Zeit dafür. Und zweitens ist das auch im Hinblick auf das Alter wichtig.“ Die Beraterin gibt zu bedenken, dass viele Kontakte aus dem Berufsleben wegfallen. Zudem sind sowohl eine eingeschränkte Mobilität als auch der Verlust von Freunden durch den Tod vorhersehbar.
Rot
Viel Kraft und Energie steckt in dieser Farbe. „Lange genug haben wir mit Ausreden gelebt und uns teilweise verbogen, um den Erwartungen der anderen zu entsprechen. Damit sollte es nun vorbei sein“, meint Susanne Bock. Schwächen dürfen gezeigt werden, man muss niemandem mehr etwas beweisen. Die somit frei werdende Energie sollte man nutzen, um bei sich selbst nach den eigenen Wünschen zu forschen, diese offen zu äußern und sie – wenn möglich – auch zu erfüllen. Es ist endlich Zeit, ohne schlechtes Gewissen auf sich selbst zu schauen.
Gelb
„Eine Farbe, die mich richtig anlacht. Was wäre das Alter ohne Humor?“, fragt Susanne Bock. Der Spaß am Leben ist ein ganz wesentlicher Aspekt, gerade dann, wenn der Körper beginnt, Grenzen zu setzen. Lachen ist erlaubt, ja erwünscht. Früher war man mit 60 Jahren alt, sich mit „jungen“ Attributen zu schmücken war verpönt. Vielleicht hat ja gerade der Humor in diesem Bereich viel verändert.
Grün
„Welche Farbe könnte mehr beruhigen? Mit der grünen Brille bin ich ganz gelassen, kann Dinge so lassen, wie sie sind“, verrät die Expertin. Wollte man in jüngeren Jahren Menschen oder Dinge verändern, so kann man sie jetzt einfach „sein lassen“ und die Situation annehmen, wie sie ist. Damit verbunden ist auch, dass man Ansprüche dort und da zurückschraubt. Das betrifft die Umwelt, aber auch die eigene Person. „Irgendwann sollte man bei sich angekommen und damit zufrieden sein“, meint Susanne Bock. Die Gelassenheit spiegelt sich auch im Tempo wider. Nicht nur, weil man mit der Kraft haushalten muss. Auch weil man es sich einteilen kann – ein Luxus des Alters.
Grau
Im Mittelhochdeutschen hatte Grau eigentlich die Bedeutung von schimmernd und strahlend. Doch besonders das herbstliche Nebelgrau hat bei vielen Menschen einen negativen Beigeschmack. Außerdem werden die Tage kürzer und das vermittelt vielen Menschen das Gefühl, dass die Zeit mit zunehmendem Alter schneller vergeht. „Man kann sich über trübe Herbsttage auch freuen, wie ich“, so Susanne Bock. Mit dem tristen Wetter kehrt oft Ruhe ein, vielleicht sogar Erleichterung. Man kann oder muss einmal nichts tun, weil die Natur im Garten auch ruht. Das feuchte Wetter ist keine Einladung, hinauszugehen, also findet man drinnen Zeit für sich. Bei Kerzenschein und einer Tasse heißem Tee lässt es sich vortrefflich über Vergangenes nachdenken – aber auch Künftiges planen.
Susanne Bock, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Paarkommunikation, Systemische Beratung mit Kindern, Jugendlichen und Eltern, Stressmanagement und Burnout-Prophylaxe.
Zitate
„Altern heißt, sich über sich selbst klar werden.“ Simone de Beauvoir ----- „Jede Generation lächelt über die Väter, lacht über die Großväter und bewundert die Urgroßväter.“ William Somerset Maugham ----- „Solange man neugierig ist, kann einem das Alter nichts anhaben.“ Burt Lancaster ----- „Als Kind ist man Realist, als Jüngling ist man Idealist, als Mann ist man Skeptiker und als Greis wird man zum Mystiker.“ Johann Wolfgang von Goethe ----- „Keine Grenze verlockt uns mehr zum Schmuggeln als die Altersgrenze.“ Robert Musil ----- „Die Jüngeren rennen zwar schneller, aber die Älteren kennen die Abkürzung.“ Ursula von der Leyen ----- „40 Jahre sind das Alter der Jugend, 50 die Jugend des Alters.“ Victor Hugo ----- „Lang leben will alles, aber alt werden will kein Mensch.“ Johann Nestroy ----- „Altwerden ist wie auf einen Berg steigen. Je höher man kommt, desto mehr Kräfte sind verbraucht, aber umso weiter sieht man.“ Ingmar Bergman