„Woher erhalte ich Trost?“ Diese Frage brennt besonders Menschen in belastenden Situationen unter den Nägeln. Eine Antwort ist in einer Predigt zu finden, die Altbischof Rein-hold Stecher am 26. Februar 2000 in Galtür hielt. Stecher feierte mit Einheimischen und Gästen einen Jahrtagsgottesdienst für die 37 Toten der Lawinenkatastrophe von 1999.
Jesus Christus
Der erste Tröster, den Gott schickt, ist sein Sohn Jesus Chris-tus, das menschgewordene Wort. In ihm wird der unfassbare, schweigende Gott auf einmalfassbar, mitteilsam, verständlich. Er tritt an unsere Seite, wenn wir ein Foto in die Hand nehmen oder vor dem schmiedeeisernen Kreuz stehen, und er flüstert uns die gewaltigen Worte zu, die sonst kein Mensch auf dieser Erde sagen kann: „Ich bin die Auferstehung und das Leben – wer an mich glaubt, lebt in Ewigkeit.“ Jesus sagt uns: Deine Frau, dein Kind, deine Mutter und deine Freunde sind bei mir. Es dauert nicht lange, dann seid ihr wieder beisammen, dort, wo euch keine Lawine und keine Katastrophe und keine Angst berührt. Jesus Christus ist der eigentliche, der große Tröster, den uns der Vater schickt.
Maria
Die zweite ist eine Trösterin. Was würdet ihr von einem Menschen halten, den ihr tausendmal gebeten habt, zu einem bestimmten Anlass zu kommen und bei euch zu sein – und der Mensch schert sich dann nicht um diesen Termin und kommt einfach nicht? Ein unmögliches, ja unmenschliches Verhalten!Nun, vor dem uralten Gnadenbild der Mutter des Herrn in der Kirche von Galtür darf ich euch doch erinnern: Hunderttausende Male haben diese Kirchenwände, die Gräber auf den Friedhöfen, die Stuben und die Wallfahrtswege die Bitte gehört: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt’ für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“Gewiss: manchmal war es andächtig, manchmal weniger andächtig. Aber könnt ihr euch vorstellen, dass die Magd des Herrn die hunderttausend Bitten ignoriert und den Termin versäumt, der so wichtig ist? Nein, sie war dabei mit ihrer Fürbitte – und sie wird dabei sein. Darauf vertraue ich ganz fest, und ihr könnt auch vertrauen. Die zweite Trösterin ist die heiligste Mutter.
Mitgefühl, Hilfsbereitschaft
Aber da gibt es noch ein paar Trösterinnen und Tröster, die wir nicht gering achten wollen. Da ist die Anteilnahme, das Mitgefühl und die vielfache Hilfsbereitschaft, die ihr erlebt habt und erlebt. Das hilft doch, über manches besser hinweg zu kommen. Ihr habt doch erlebt, dass der Schicksalsschlag auch zusammenschweißt, dass man nicht allein ist. Ja vielleicht fegt eine solche Staublawine nicht nur Menschen und Häuser weg, sondern auch Kleinkariertheiten, belanglosen Streit, Vorurteile und Unzufriedenheiten ...
Die Zeit
Eine weitere, mächtige Trösterin ist die Zeit. Sie lindert Wunden, auch schwere Wunden. Gott gibt ihr den Auftrag, den Schmerz leiser zu machen und auch schöne, tröstliche Erinnerungen aufsteigen zu lassen an die Zeit, da man beisammen war. Und vielleicht lässt die Zeit sogar auf den Grabhügeln so etwas wie eine Dankbarkeit aufblühen für den Menschen, den man haben durfte und der einem geschenkt war.
Der Alltag
Noch einen letzten Tröster schickt der gütige Gott auf die Reise – und das ist das Leben. Ich meine das Leben, das weitergehen muss, das uns einfach fordert und nicht erlaubt, mit schlaffen Händen und umdüstertem Ge-müt da zu sitzen und in Trübsal zu versinken. Es muss vieles geordnet und besorgt werden, die Kinder brauchen mich, die Verpflichtungen sind da, die mich in die Wirklichkeit zurück holen. Der Betrieb muss weiter gehen, Gäste müssen betreut werden, das Telefon läutet und das Handy piepst. Und das ist gut so. Der Alltag, der mich einfach zwingt, ist ein ganz mächtiger Tröster, der so manches Abgleiten in die antriebslose Depression verhindert. Er ist ein wenig ein harter Tröster, ein etwas rauher Geselle, der Alltag des Lebens. Aber er meint es doch gut mit uns. Und auch ihn schickt der Herr, der um die Not unserer Herzen weiß ... Ich schließe mit einem Psalmvers: „Mehren sich die Sorgen des Herzens, so erquickt dein Trost, o Herr, meine Seele.“