Alois Glück war als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) einer der bedeutendsten Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland. Nach sechs Jahren trat er am 22. November von seinem Amt an der Spitze der Dachorganisation katholischer Laien zurück – und zieht Bilanz.
Alois Glück: Ich habe keine Entzugserscheinungen, aber es ist natürlich eine Zäsur in meinem Leben, nicht nur äußerlich im Hinblick auf die vielen Aktivitäten und Verpflichtungen; aber diese Tätigkeit war auch eine ganz große Bereicherung.
Wenn Sie Bilanz ziehen und auf die Jahre zurückschauen – welche Bereicherungen, Eckpunkte, Herausforderungen waren zentral?
Alois Glück: Im Rückblick auf meine Wegstrecken habe ich festgestellt, dass alle wesentlichen Weichenstellungen, Entwicklungen, Entscheidungen in meinem Leben mit der Begegnung mit Menschen zusammenhängen. Mit der Zeit hat sich das immer bewusster verbunden mit einem Glaubensverständnis, das der Religionsphilosoph Martin Buber so ausdrückt: Gott spricht zu den Menschen durch die Ereignisse und Leute, die er ihnen in den Weg schickt. So habe ich auch diese Aufgabe verstanden, denn ich hatte Jahre vorher zweimal die Übernahme dieses Amtes abgelehnt.
Warum das?
Alois Glück: Weil ich nach einer intensiven Phase des politischen Lebens nicht wieder eine Aufgabe übernehmen wollte, die mit Terminverpflichtungen und vielen anderen Dingen verbunden ist. Aber ich habe mich dem Amt dann doch gestellt. Das war in einer Phase, die für den Weg der Kirche in Deutschland ganz wichtig geworden ist, denn ich wurde im November 2009 gewählt und im Jänner 2010 ist dann diese schreckliche Wirklichkeit des sexuellen Missbrauchs in unserer Kirche offenkundig geworden. Das führte zu einer tiefen Erschütterung und zu einem Vertrauensverlust. Aber diese Erschütterung hat dann auch Verkrustungen in der Kirche aufgebrochen.
Sie waren viele Jahre CSU-Politiker. Welche Arbeit war für Sie herausfordernder: Die Zeit als Politiker oder das Amt des Präsidenten des ZdK?
Alois Glück: Aufgrund meiner politischen Erfahrungen habe ich in der Wegstrecke der Kirche viele Dinge besser wahrnehmen können, gerade mit Blick auf öffentliche Kommunikation etwa im Zusammenhang mit dem Thema sexueller Missbrauch, wo ich einen Medienansturm erlebt habe wie nie zuvor in der Politik. Und zwar deswegen, weil es von Seiten der Kirche kaum Ansprechpartner gab. Die gingen alle auf Tauchstationen. Ich habe in fast 40 Jahren Politik nie so viele anonyme Briefe oder Beschimpfungen bekommen wie in der kirchlichen Arbeit. Dieses Klima der Intransparenz, dieses oft ganz schwer Fassbare was Entscheidungswege und Prozeduren im kirchlichen Raum betrifft, war für mich eine erschreckende Erfahrung. Auf der anderen Seite bin ich aus der Politik heraus gewohnt, in Spannungsfeldern zu leben.
Welche Themen waren das, für die Sie beschimpft wurden?
Alois Glück: Ach, wenn wir einen Beschluss gefasst haben, der einem bestimmten Spektrum in unserer Kirche nicht gepasst hat. Oder wenn man zu verschiedenen Fragen andere Positionen bezogen hat und einem deswegen sofort der Glaube abgesprochen und man des Verrats am Glauben bezichtigt wurde – wiederverheiratete Geschiedene ist da nur ein Thema in dem Zusammenhang. Was ich auch beobachtet habe, ohne dass es mich persönlich betrifft, sind zum Teil innerkirchliche Diffamierungen und Intrigen als Folge intransparenter Strukturen. Das ist ein ganz bitteres Kapitel in der Kirche. Die krassesten Auswüchse erleben wir jetzt in der Kurie.
Sie sprechen VatiLeaks II an: Was sagen Sie zu den Enthüllungen über Geldverschwendung und Misswirtschaft im Vatikan?
Alois Glück: Die wirksamste Antwort auf diese unglaublichen Fehlentwicklungen – sowohl in der Kurie als auch bei uns in Deutschland, sprich Limburg –, sind Transparenz und Kontrolle, wo es notwendig ist. Hier könnte die Kirche viel lernen von demokratischen Strukturen; es geht ja nicht um Inhalte der Lehre. Letztlich begründen diese Enthüllungen den Reformbedarf, den Papst Franziskus immer wieder benennt.
Welche Reformen müssten Ihrer Meinung nach in der katholischen Kirche angegangen werden?
Alois Glück: Es geht natürlich nicht nur um eine Strukturfrage. Das Grundproblem ist, wie können wir Menschen von heute ohne religiöse Prägung die Botschaft des Evangeliums verständlich und zugänglich machen; wie können wir ihnen vermitteln, dass die Werte, die uns als Christen wichtig sind, nicht bedeutend sind um der Christen oder um der Kirche willen, sondern weil wir überzeugt sind, dass diese Werte für ein gelingendes Zusammenleben wichtig sind. Das ist das große Thema unserer Zeit. Mir geht es gar nicht so sehr um Einzelthemen – die sind in den verschiedenen Lebenswelten ganz unterschiedlich. Aber der Prozess der zahlenmäßig schrumpfenden Kirche wird weitergehen.
Gibt es Rezepte?
Alois Glück: Da gibt es keine Rezepte. Da hilft auch keine vordergründige Modernisierung. Das sind Lernprozesse, auf die muss man sich einlassen. Die große Herausforderung ist, dass wir kompetent argumentieren müssen. Da braucht es dauerhaftes Engagement, neue Wege und einen langen Atem. Grundvoraussetzung ist, dass das Kirchenverständnis in Richtung hörende und dienende Kirche geht und nicht in Richtung eines mehr oder minder offenen Machtanspruchs gegenüber Menschen oder in der Gesellschaft. Es geht nicht darum, die Leute
zu belehren in einer weiterhin unverständlichen Sprache. Papst Franziskus ist ja deswegen für die Menschen so faszinierend, weil er eine total verständliche Sprache hat, weil Person und Botschaft übereinstimmen. Ein interessantes Beispiel dafür ist, dass seine Enzyklika „Laudato si‘“ außerhalb der Kirche mehr Resonanz findet als innerhalb unserer Kirche. Das Besondere an ihm ist diese glaubwürdige Zuwendung an den Menschen.
Was sagen Sie zum Ausgang der Familiensynode? Sind Sie von den Ergebnissen enttäuscht?
Alois Glück: Nein, ich bin nicht enttäuscht. Ich glaube das Wichtigste für den weiteren Weg der Kirche ist, dass mit dieser Synode erstmals in Rom die ganze Bandbreite der Lebenswirklichkeiten in den verschiedenen Regionen dieser Welt zur Sprache kam, offen geredet und ein in dieser Situation doch konstruktives Miteinander gefunden wurde. Mit dem Pontifikat von Papst Franziskus ist eine neue innere Lebendigkeit verbunden im Vertrauen darauf, dass der Geist Gottes der Kirche schon den Weg weisen wird. In der Vergangenheit wurde vor Bischofssynoden gesagt, worüber man nicht reden darf. Nun herrscht ein Klima der Offenheit. Dieses Raumgeben für angstfreie Kommunikation in der Debatte, auch in der Auseinandersetzung, das kann ich nur bewundern.
Es sind Wege geöffnet worden – zum Beispiel beim Thema wiederverheiratete Geschiedene –, die sich wahrscheinlich erst konkretisieren, wenn Papst Franziskus seine Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Synode zieht.
Das Thema Flüchtlinge ist in aller Munde und eine große Herausforderung. Wie kann man Ihrer Meinung nach dieser Krise entgegenwirken?
Alois Glück: Nach meiner Einschätzung ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen zu erkennen, dass wir in einer neuen Etappe der Globalisierung und der Internationalisierung unseres Lebens sind. Die vielen Krisen in der Welt – der Ausdruck dafür ist ja der Flüchtlingsstrom – werden zunehmend instabiler, konfliktträchtiger und die Weltbevölkerung wird immer mehr eine Schicksalsgemeinschaft. Wir, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, die wir in dem Zusammenhang bislang vor allen Dingen exportorientiert gedacht haben, unseren Nutzen daraus gezogen haben, werden immer enger verflochten mit den Krisen in der Welt, die uns jetzt auch mehr betreffen. Und daraus gibt es keine Flucht. Auch Abschottungsstrategien würden uns davor nicht schützen. Es geht jetzt darum, ob wir diesen Wandel so engagiert und konstruktiv wie möglich gestalten oder wollen wir nur abwehren und erleiden und verlieren damit auch noch alle Gestaltungskraft. Fluchtursachen sind vielfältig, dementsprechend vielfältig müssen die Ansätze sein. Natürlich brauchen wir Steuerungsinstrumente, natürlich sind schwierige und schmerzliche Entscheidungen über Prioritäten zu fällen, wem wir hier helfen können und wem wir nicht helfen können und letztlich wieder aus unserem Land verabschieden müssen. Wir brauchen in einer so unübersichtlichen Zeit Orientierungen und wir müssen uns fragen, was unsere Maßstäbe sind. Ich denke hier ist das alles Entscheidende unser christliches Menschenbild – dass jeder Mensch dieselbe Würde und Anspruch auf Respekt hat. Das ist jetzt eine wichtige Bringschuld der Christen und unserer Kirchen in diesen Debatten.