In einer Welt, in der sich das Karussell des Wissens, der Wirtschaft, Kultur und Werte immer rascher dreht, ist Orientierung wieder gefragt. Wo ist das Angebot der Christengemeinden?
Wir leben in einer besonderen Zeit. Nie zuvor vermehrte sich mit derartiger Geschwindigkeit das Wissen der Menschheit – ein Wissen, das den Eindruck erweckt, wir könnten der Natur die letzten Geheimnisse entlocken, um sie dann entsprechend zu verändern. So ist es im Jahr 2000 gelungen, das menschliche Genom (die menschlichen Gene bzw. Erbinformationen) zu entschlüsseln. In einem nächsten Schritt soll das Wirken und Zusammenwirken der einzelnen Gene erforscht werden. Gleichzeitig richtet sich das Interesse der Forscher über den „Bauplan“ hinaus auf die „Grundsubstanz des Lebens“, die Proteine. Atemberaubendes geschieht auch in der Hirnforschung, die sich mit den Grundlagen für das Denken, Erkennen oder Bewusstsein des Menschen beschäftigt. Ein Bereich, wo Wissen zu riesigen Veränderungen geführt hat und noch immer führt, ist die Informationstechnologie (Stichwort: Computer). Ohne sie gäbe es auch in der Genetik, der Medizin, der Hirnforschung etc. nicht diese rasanten Entwicklungen.
Ein Kurs ohne Gott?
Es ist unübersehbar, Wissen ist und wird immer mehr zur zentralen Ressource für Fortschritt und Wohlstand. Viele sprechen daher von der Ablösung der bisherigen Industriegesellschaft durch eine Wissensgesellschaft. Wer mithalten möchte, muss daher über Wissen verfügen und Zugang zu Wissen haben. Einen Umbruch erleben wir jedoch nicht nur auf der Ebene des Wissens. Auch im Bereich der Wirtschaft und der Kultur, der Werte, Überzeugungen und Religion gibt es Veränderungen. Alles wird globaler. Deutlich ist zu registrieren, dass bei uns das Christentum immer mehr seine Monopolstellung verliert, gleichzeitig kommen über Fernsehen, Reisen, über Angebote aus dem Wellness- und Gesundheitsbereich die Menschen mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in Berührung – und setzen daraus immer öfter ihre persönliche Religion zusammen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wertkanon. Werte, die früher hoch im Kurs standen, gelten heute nicht mehr so viel. Es sieht so aus, als ob unsere technische, wirtschaftliche und kulturelle Welt ganz gut ohne Gott und christliche Verkündigung auskommt.
Sehnsucht nach Deutung
Während auf der einen Seite das Wissen und die Eingriffsmöglichkeiten des Menschen zunehmen (Gen, Atom, Lebewesen, Natur ...), fällt auf der anderen Seite auch der zunehmende Druck auf, die allgegenwärtige Hektik, das Gefühl, getrieben zu sein und den Überblick zu verlieren. Das wachsende Interesse für (nicht-christliche) Religion und Ethik spiegelt die Sehnsucht nach Orientierung, Lebensdeutung und verantwortlichem Handeln deutlich wider. In diese Situation hinein gilt es den christlichen Glauben zu verkünden.
Lebensräume öffnen
Hilfreich und ermutigend ist dabei der Blick auf unseren Meister: Jesus war offen für die Menschen, er ließ sich in ihre Lebenswelten ein und versuchte mitten im Leben Glauben zu erschließen – einen Glauben, der nicht als Fremdkörper oder als lästiges Anhängsel einer Tradition erlebt wurde, sondern einen Glauben, der Lebensräume, Hoffnungen und neues Menschsein eröffnete. Tief in seiner religiösen Tradition stehend und geprägt von einer lebendigen Gottesbeziehung brachte der Mann aus Nazaret Leben und Glauben, Leben und Gott in eine spannende und befreiende Beziehung. Christus verkündigen, den Glauben verkündigen: müsste das nicht von der „Sache“ her eigentlich spannend, überraschend, herausfordernd, lebensbedeutsam sein?